Blut Licht
Waffe an seinem Gürtel erwischen und abdrücken. Und treffen! Vermutlich würde ich genau in diesem Punkt versagen und mir selbst in den Fuß schießen. Falls ich überhaupt so weit kam.
Schon war die Chance dahin. Er entfernte sich, steuerte den Strauch an und fand dahinter die Einzelteile des Telefons. Sein Fluch fiel entsprechend farbenfroh aus. Er drehte sich um, eilte auf das Mädchen zu und packte sie am Arm. Grob zerrte er sie hinter sich her, zurück zum Haus. Er stieß sie hinein und folgte ihr. Dann hörte ich zorniges Gebrüll, einen schrillen Schrei und den Knall eines Schusses.
Ich fuhr erschrocken zusammen und sah gerade noch, wie der Mann mit bleicher Miene rückwärts aus der Tür torkelte. Eine Hand auf seine Brust gepresst, versuchte er den roten, sich ausbreitenden Fleck zu bedecken, während sein Gesicht pures Unverständnis ausdrückte. Er verharrte, sah ungläubig zur Tür und brach jäh in sich zusammen.
Ich holte tief Luft. Irgendwie hatte ich vor Schreck das Atmen vergessen. Dann beobachtete ich geschockt, wie das Mädchen erneut aus dem Haus stolperte und der andere Mann ihr folgte. Dieser steckte seine Pistole ein, nahm dem Toten die Schusswaffe ab und wies das Mädchen an, die Beine des Toten zu ergreifen. Unter seiner Beobachtung zerrte sie den Leichnam zum Brunnen. Ich beobachtete verwundert die Szenerie, als sie den Deckel ein wenig beiseiteschob und die Leiche unter Aufbietung ihrer gesamten Kraft über den Rand zerrte, um ihn anschließend in die Tiefe fallen zu lassen. Vergeblich wartete ich auf ein Platschen. Stattdessen hörte ich einen dumpfen Aufprall und ein darauf folgendes, zorniges Fauchen.
Umgehend fiel mir Stevens ungewöhnliche Resteverwertung ein. Offenbar verfuhren sie ähnlich. Wer befand sich dort unten im Brunnen? Zweifellos ein gefangener Vampir, wenn er vom Sonnenlicht geschützt im Dunkeln hockte und auf diese Weise am Leben gehalten wurde. Doch wer war er? Freund oder Feind? Ließ sich das überhaupt so genau zuordnen?
Derweil hatte das Mädchen den Deckel verschlossen und huschte
mit eingezogenem Kopf zurück in das Haus. Der Mann hingegen klopfte noch einmal kräftig auf den Deckel, rief etwas hinab, lachte und schlenderte dann ebenfalls in Richtung der Unterkunft.
Ich war zu weit entfernt, um den Brunnenbewohner unter die Lupe nehmen zu können. Gleichzeitig war ich zu nah an dem Gebäude, um mich in Sicherheit zu wähnen. Zumindest hatte ich die Chipkarte aus dem Telefon. Ich öffnete meine Hand und betrachtete sie. Dann steckte ich sie in meine Hosentasche und durfte gleich mal einen deftigen Fluch unterdrücken.
Himmel noch mal! Wieso fiel mir dieses dämliche Handy nie rechtzeitig ein? Ich hätte längst weg sein können. So ein verflixter Mist! Andererseits war ich bisher nicht entdeckt worden. Ich ertappte mich dabei, wie ich ernsthaft überlegte, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und nachzusehen, wer dort im Brunnen hockte. Nervös behielt ich den Eingang der Hütte im Auge. Bisher war dort alles ruhig. Niemand blickte hinaus. Der Moment wäre günstig.
Ehe ich mich bewusst dafür entscheiden konnte, hatten sich meine Füße bereits eigenständig in Bewegung gesetzt. Die Palmen als Deckung nutzend, robbte ich voran, bis mich nur noch ein dürres Gestrüpp von der freien Fläche zum Brunnen trennte. Ein erneuter Blick zur Tür folgte. Ich ließ mich hinter dem Busch flach auf den Bauch fallen, als ich eine vage Bewegung ausmachte. Ein Schemen, als wäre jemand an den Rand der Behausung getreten, ohne in den dort einfallenden Lichtschein zu geraten.
Der Schatten ging vorsichtig auf und ab. Inzwischen wurde deutlich, dass er das Sonnenlicht mied. Ein anderer Vampir? Wer sonst würde die Helligkeit meiden?
Selbst wenn er mich bemerken würde, wäre die Gefahr, dass er mir nachsetzte, recht gering. Das aber galt kaum für seinen lichtresistenten Begleiter.
Meine angespannten Sinne signalisierten mir umgehend den strategischen Rückzug, während mein Trotzkopf das nicht zulassen wollte. Merkwürdig, wie intensiv Instinkt und Intellekt streiten können. Ich wollte jetzt unbedingt wissen, wer sich dort im Brunnen aufhielt und verbat meinen vorlauten, überängstlichen Zweifeln weitere Äußerungen. Vielleicht fand ich sogar die Verbindung heraus, die mich hergeführt hatte. Nichts passierte ohne Grund. Ich war nicht so weit gekommen, um jetzt unverrichteter Dinge aufzugeben. Dazu musste ich nur den passenden Augenblick abwarten - und meine
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