Blut Licht
in den Arm, doch der Schmutz sowie die Umgebung blieben in gleicher Gestaltung bestehen. Also öffnete ich die Tür zum gelben Salon, sah hinein und gewahrte das, was ich zwar erwartet, jedoch nicht erhofft hatte. Spätestens jetzt breitete sich Panik in mir aus.
Nun rannte ich die Treppe hinauf, riss sämtliche Türen auf und spähte in die Räume. Überall das gleiche Bild. Sämtliches Mobiliar war mit großen Tüchern verhangen und selbst der Strom war abgestellt. Es wirkte, als habe seit Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, kein Mensch mehr einen Fuß in dieses Gebäude gesetzt.
Zurück auf der Galerie schöpfte ich Atem. Noch immer raste mein Herz, doch hielt ich mich soweit unter Kontrolle, um nicht durch Hyperventilieren und anschließendem Schwindel über das Geländer zu stürzen. Dennoch zwang ich mich zu achtsamen Schritten, während ich die Stufen hinab in das Foyer schritt.
Auf der unteren Stufe ließ ich mich nieder, stützte den Kopf auf die Knie und überlegte fieberhaft, was hier geschehen war. Warum war das Haus verlassen? Wo waren alle hin? Und vor allem: Wo war ich hin?
Plötzlich schnellte eine Frage in mir hoch, die ich mir in allen vorangegangenen Visionen nie gestellt hatte. In welcher Zeit befand ich mich gerade? Zukunft oder Vergangenheit?
Wenn ich schon einmal hier war, wollte ich zumindest den Zeitpunkt herausfinden. Und welcher Ort war dafür besser gewählt, als die Küche mit all ihren Utensilien und vielleicht sogar Überbleibseln von Nahrungsmitteln? Folglich führte mich mein Weg dorthin. Zumindest die Gerätschaften waren jene, die mir vertraut waren, obwohl der Inhalt des Kühlschrankes keinerlei Auskunft über den genauen Zeitraum lieferte, denn er war leer. Dennoch schloss ich daraus, dass ich mich irgendwo in ferner Zukunft befand.
Mein Hintern verursachte ein weiteres Staubwölkchen, als er ungebremst auf eine Stuhlfläche sank. Zukunft? Das war ein Novum. Selbst für mich, denn bislang war ich entweder in der Gegenwart oder aber Vergangenheit herumgegeistert. Zumindest soweit ich mich erinnerte. Oder hatte ich mich damit geirrt? Sah ich Geschehnisse, die erst noch kommen würden? Allein der Zustand des Hauses mit all dem modernen Interieur, welches in meine bewusste Zeiterinnerung passte, ließ nur diesen einen Schluss zu.
Ich erschauerte, als wollte ich instinktiv alles von mir abschütteln und nach Möglichkeit sogar diese ungebetene Vision selbst loswerden. Leider kam sie dem Wunsch nicht nach und ich befand mich weiterhin in einer topmodern eingerichteten Küche voller Staub in einer fernen Zukunft, die mich vermuten ließ, dass die mich umgebene Ausstattung möglicherweise schon wieder antik sein konnte.
Ebenfalls - und dabei verzog ich nachdenklich die Miene - dauerte die Reise inzwischen recht lange. Und das ohne weitere nennenswerte Erkenntnisse. Was wollte mir diese Vision - es war doch hoffentlich nur eine-zeigen?
„Hallo“, durchdrang diesmal meine wesentlich festere Stimme als beim verschreckten Hallo vom Anfang die Grabesstille des Gebäudes. „Wer immer für diese bittere Pille verantwortlich ist, möge mir doch bitte wenigstens einen Beipackzettel hinlegen, damit ich deren Wirkungsweise auch verstehe.“
Möglicherweise hatte ich auf zu viel Verständnis bei meiner Anfrage an Wen-auch-immer gehofft, denn selbstredend blieb mir derjenige eine hörbare Antwort schuldig. Zumindest eines hatte ich jedoch gewonnen. Meine Selbstsicherheit war zurück. Von Panik war keine Rede mehr. Eher noch wurde ich allmählich ärgerlich. Rätsel dieser
Art waren mir von jeher ein Gräuel. Doch tatenlos zu verharren, um auf das Ende dieses Schreckens zu warten, erschien mir kaum ratsam. Ich hatte keinerlei Ahnung, wie lange der Spuk noch dauern würde, und dekorativ mit Spinnenweben behängen zu erwachen oder gar auf diesem Stuhl zu mumifizieren, kam nicht infrage. Also entschied ich mich zur Tätigkeit.
Noch einmal durchsuchte ich die Küche. Ich öffnete sämtliche Schubladen, Schränke und Gerätschaften. Selbst in den Treteimer schaute ich hinein. Nichts. Dann aber fand ich doch tatsächlich den geforderten Beipackzettel an einer Stelle, wo ich dergleichen nie vermutet hätte. Etwas zerknüllt, vergilbt und ein wenig feucht unter der Spüle als jahrelanger Tropffang. Ein Stapel alter, vergilbter Zeitungen.
Mit spitzen Fingern nahm ich sie heraus und breitete sie auf dem Tisch aus. Genauer gesagt handelte es sich um mehrere Ausgaben der Times aus dem Juli 2012.
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