Blut muss fließen
beispielsweise für Hooligans und Neonazis. Einer der bekanntesten Ex-Hooligans in Deutschland heuerte allerdings direkt bei den Hells Angels an: Markus Warnecke. Er hatte fünf Jahre im Gefängnis gesessen, weil er, wie ein französisches Gericht befand, bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 daran beteiligt war, als der Gendarm Daniel Nivel ins Koma geprügelt wurde. Warnecke fungierte später als »Secretary« des Charters Hannover.
Plus/minus 30 Rockerclubs, die sich zu den Hannoveraner Höllenengeln hingezogen fühlen, haben sich unter Führung der Roten Teufel aus Hannover in der North Association zusammengeschlossen. Rund die Hälfte davon sind Red-Devils-Charter. Als offiziellen Grund für die Kooperation geben sie an, »dass es einigen an gemeinsamen Aktivitäten gefehlt hat«. Deshalb hätten sich »Gleichgesinnte« zusammengetan, »um gemeinsam Motorrad zu fahren, zu feiern und sich miteinander auszutauschen«. Die Kameradschaft stehe »an erster Stelle«.
Kameradschaft? Mit diesem Begriff konnten beziehungsweise können sich nicht nur Red Devils aus Seesen und Stadthagen in besonderem Maße identifizieren, sondern auch jene aus Salzwedel. Unter ihnen sind braune Brüder aus der Kameradschaft Altmark-West, sogar in der Charter-Leitung. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stendal wegen Waffen- und Betäubungsmittelkriminalität führte am 15. September 2011 zu polizeilichen Durchsuchungen. Unter der Überschrift »Rechtsextremistisch beeinflusste Hooligan- und Rockerszene« berichtete der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt über die Razzia: »Bei dem Präsidenten der Rocker | 263 | gruppierung ›Red Devils‹, Kai Schweigel (Salzwedel, Altmarkkreis), wurden Tonträger mit rechtsextremistischer Musik aufgefunden. Schweigel ist als Führungsperson des neonazistischen Personenzusammenschlusses ›Freie Nationalisten Altmark-West‹ (FNAW) bekannt geworden.« Im Unterschied zu den Behörden anderer Bundesländer kam der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt zu dem Ergebnis: »Rechtsextremisten sind mittlerweile in anderen subkulturellen Szenen wie der Rocker- und der Hooliganszene anzutreffen und dort ebenfalls bereit, Gewalttaten zu verüben.«
Auch die Red Devils Helmstedt sind politisch durchsetzt. Sie hatten ihren Treffpunkt zeitweise mit einer »White Pride«-Flagge ausgeschmückt. Und sie gehören ebenfalls zur North Association, der das Clubhaus der Hells Angels Hannover als Treffpunkt diente.
Was macht es für Neonazis so reizvoll, ihre Bomberjacke gegen eine Lederweste zu tauschen, die Kameradschaft gegen eine Bruderschaft und den Führer gegen einen »President«? Schon aus der Fragestellung ergibt sich: Die Szenen ähneln sich. Beide sind streng hierarchisch und als Männerbünde organisiert, beide treten martialisch in der Öffentlichkeit auf, und beide pflegen einen Männlichkeitskult, der auf Muskeln und Kampfkraft basiert. Neonazis können aber ihre patriarchalen Vorstellungen in ihrer angestammten Szene so recht nicht ausleben, weil ihnen dazu die Frauen fehlen. Deren Anteil liegt nur bei rund einem Viertel: ein »Mädel« für drei Neonazis, die nicht kameradschaftlich teilen wollen. Und die Rocker? Deren Lederladys, GoGo-Tänzerinnen, Stripperinnen und Nutten lassen die kahlgeschorenen Nazi-Renees noch unattraktiver erscheinen, als sie es ohnehin sind. Hinzu kommt, dass Rocker in Kutten auf der Straße noch mehr Eindruck schinden als Nazis in Bomberjacken: weil sie aufgrund ihres organisierten Gewaltpotenzials noch mehr gefürchtet werden, aber gleichzeitig gesellschaftlich anerkannter sind. Sie profitieren vom Mythos der freiheitsliebenden Easy Rider. Zusammengefasst: Nazis finden im Rockermilieu die Rahmenbedingungen vor, die sie gewohnt sind – plus mehr Sex und vor allem mehr Geld.
Wirtschaftsräume werden mit Hilfe von Security-Dienstleistungen nicht nur erobert, sie beinhalten auch Jobs für Member, Pro | 264 | spects, Hangarounds und andere Sympathisanten des jeweiligen Rockerclubs. Und das unterscheidet die Outlaw-Biker von anderen Subkulturen: Sie bieten Arbeitsplätze und damit eine Existenzgrundlage. Für geschäftstüchtige Onepercenter bleibt die Work-Life-Balance ein abstraktes Fremdwort: Beruf und Freizeitgestaltung werden vereint. Die Bruderschaft beinhaltet mehr als eine Familie. Dazu passt der Anspruch, dass der Club für die Member vor ihrer tatsächlichen Familie rangieren muss.
Um diesen Familienbetrieb dauerhaft gegen andere Clubs zu verteidigen, bedarf es
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