Blut muss fließen
dadurch seinen Gebietsanspruch in Niedersachsen unterstreichen will.« Da das »grundsätzliche Geschäftsgebaren von Rockergruppierungen belegbar auf Territorial- und Machtzuwachs gegenüber anderen konkurrierenden Motorradclubs ausgelegt ist«, wollte das Ministerium Auseinandersetzungen nicht ausschließen.
Gebietsanspruch und Auseinandersetzungen – müssen sich die Mitglieder von Motorradclubs um jeden Meter Autobahn prügeln? Diese Frage stellt sich, wenn man liest, dass die deutschen Hells Angels darauf Wert legen, »ein Motorradclub, keine Gang« zu sein. Das niedersächsische Innenministerium sieht das nur bedingt so. Es differenziert, wie aus einer Antwort an den Landtag vom 28. August 2009 hervorgeht: »In Niedersachsen sind 215 Motorradclubs bekannt, von denen aktuell 37 den sogenannten Outlaw-Motorcycle-Gangs (OMCG) zugeordnet werden.« Im Rahmen der bekannten von A bis C reichenden Klassifizierung werden diese Organisationen der Kategorie C zugeordnet. Hells Angels und Red Devils, aber auch Bandidos, Gremium und Outlaws sind demnach unter den Motorradclubs das, was Hooligans unter den Fußballfans sind. Sie selbst verstehen sich als Onepercenter: als das eine Prozent der Biker, das sich nicht nach den bürgerlichen Gesetzen richtet, sondern nach seinen eigenen. | 257 |
»Die Zahl der Mitglieder in diesen OMCG liegt derzeit bei zirka 300 Personen«, schrieb das niedersächsische Innenministerium 2009. »Über etwa die Hälfte dieser Personen liegen kriminalpolizeiliche Erkenntnisse vor.« Was die Rocker in Niedersachsen machen? »Die Mitglieder entfalten ihre Aktivitäten unter anderem in den Bereichen Rotlichtmilieu, Event-Gastronomie sowie dem Sicherheitsgewerbe. Der niedersächsischen Polizei sind im vergangenen Jahr« – also 2008 – »insgesamt 49 Straftaten, begangen durch Mitglieder von OMCGs, bekannt geworden, denen 56 Tatverdächtige zugeordnet werden können. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Gewaltdelikte (Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, Erpressung und Sachbeschädigung), Eigentumsdelikte, Verstöße gegen das Waffengesetz und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.«
Derartige Straftaten werden in der Regel in kleinstem Kreise verübt, teilweise ist das Opfer der einzige Zeuge. Im Rahmen einer journalistischen Undercover-Recherche ist es daher schwierig bis unmöglich, entsprechende Handlungen zu dokumentieren. Während Nazis bei ihren Veranstaltungen mit Hitlergrüßen, »Sieg Heil«-Geschrei und strafbaren Liedern dokumentiert werden können, lässt sich bei Rockerpartys in der Regel nur feststellen, welche Personen anwesend und folglich im Umfeld eines Clubs angesiedelt sind. Es sei denn, es treten dort einschlägige Bands auf …
Was ich beim »Tanz in den Mai« am 30. April 2010 der Hells Angels in Solingen drehen konnte, blieb eine Ausnahme. Vor dem Clubhaus standen zu vorgerückter Stunde Rocker am Kofferraum einer Limousine, unter ihnen Hells Angels, welche die Schriftzüge »Nomads« und »Turkey« auf ihren Kutten trugen. Sie sahen sich etwas an, das ich nicht erkennen konnte. Dann wechselte ein paar Meter vor meiner Kamera ein Bündel Geldscheine den Besitzer.
Dass Geld im Rockerleben eine zentrale Rolle spielt, ist den luxuriösen Motorrädern und Autos vor den Clubhäusern anzusehen. Das niedersächsische Innenministerium kam im Jahr 2011 zu dem Ergebnis: »Sämtliche dieser Outlaw Motorcycle Gangs« – erwähnt wurden Hells Angels, Bandidos, Outlaws und Gremium – »verfolgen das Ziel, bestimmte Territorien beziehungsweise Einflussbereiche zu beherrschen, um insbesondere wirtschaftliche Interessen wie | 258 | beispielsweise im Rotlichtmilieu (unter anderem Türsteherdienst, Wirtschaftertätigkeiten) durchzusetzen. Dabei ist festzustellen, dass die im beziehungsweise am Randbereich der organisierten Kriminalität agierenden Rocker bestrebt sind, gesellschaftliche Akzeptanz zu gewinnen, um Gewinne auch in legalen Geschäftszweigen investieren zu können und um öffentlichem Druck weitestgehend zuvorzukommen.« Ihrem strategischen Vorgehen entspreche das Verhalten von Wolfgang Heer, der in Walsrode als Geschäftsmann und Sponsor auftrete und zugleich »ein führendes Mitglied des Hells Angels MC« in Hannover sei.
Das Charter in der niedersächsischen Landeshauptstadt galt als besonders mitgliederstark, sein »President« Frank Hanebuth als mächtigster Hells Angel in Deutschland. Ein Handschlag zwischen ihm und Peter Maczollek von den
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