Blut muss fließen
Bandidos sollte am 26. Mai 2010 den Friedensschluss zwischen den zwei Rockerclubs in Deutschland besiegeln: in den Räumen des Hannoveraner Rechtsanwalts und Notars Götz von Fromberg, mit dem damals noch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Kanzleigemeinschaft verbunden war. Die Rocker waren längst in der High-Society angekommen. Der Friedenschluss wurde in einem Blitzlichtgewitter vollzogen, als hätte es sich bei dem Hells Angel, dem Bandido und ihren Begleitern um Staatsmänner gehandelt. Im vorangegangenen Konflikt zwischen ihren Clubs hatte es sogar Tote gegeben. Nur weil Motorradfahrer Streit hatten? Auf Sportvereine übertragen wäre das so, als würden sich die FCs und die FSVs bundesweit bekämpfen, unterstützt von den SCs und SVs als Supporter-Clubs. Absurd.
Das staatsmännische Auftreten der Rockerführer kam nicht von ungefähr. Die Clubs bauen eigene Staaten im Staate auf. Wie Staaten setzen sie ihre territorialen Ansprüche mit Gewalt durch, ihre Außenpolitik gegenüber anderen Clubs ist teilweise von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt. Damit kennen sich Hells Angels und Bandidos aus, auch aufgrund ihrer Historie: Die Hells Angels wurden 1948 von Angehörigen einer amerikanischen Bomberstaffel aus dem Zweiten Weltkrieg gegründet, die Bandidos 1966 von Vietnam-Veteranen der US-Marines. In den Einflussbereichen der Rocker gelten ihre Regeln, ihre »Gesetze«. Ein Leitspruch: »Our | 259 | Town – Our Rules.« Innenpolitisch scheinen sie ein föderalistisches System zu pflegen. Bei den Bandidos besteht es aus Chaptern, bei den Hells Angels aus Chartern. Als Pressesprecher der deutschen Hells Angels tritt immer wieder Rudolf »Django« Triller in Erscheinung – um beispielsweise zu betonen, dass es gar keine bundesweite Struktur seines Clubs gebe. Er assistierte Hanebuth beim Friedensschluss mit den Bandidos, der für ganz Deutschland gelten sollte. Folglich besiegelten sie das Abkommen stellvertretend für alle Charter.
Jahrelang war der Hannoveraner Hells-Angels-Boss der ungekrönte König des Steintorquartiers, des Vergnügungsviertels der Landeshauptstadt. Ich war in den Jahren 2009 und 2010 sowie im ersten Halbjahr 2011 mehrfach dort unterwegs. Die Insignien des Rockerclubs prägten das Stadtbild und Akteure aus seinem Umfeld das Geschehen. Kneipen und Kioske schenkten Original-81-Bier und hochprozentigeren Alkohol der Marke aus, die »81« zierte die Arbeitskleidung in der Steintor Event Hall. Vor den Party-Paradiesen hatten sich Türsteher der GAB Security GmbH aufgebaut, deren Gesellschafter Frank Hanebuth und sein Rockerbruder Wolfgang Heer sind. Zu ihrem »Unternehmensgegenstand« zählen, neben Sicherheitsdienstleistungen wie Geldtransporte und Personenschutz, unter anderem Hostessendienste, der Handel mit Druckerzeugnissen, Geldforderungen (Inkasso), der Betrieb von Fitnessstudios und Solarien sowie der Vertrieb von Kosmetikprodukten und Modeaccessoires. Und das ist nur ein Teil des Gemischtwarenladens, an dem der Hells Angel Hanebuth beteiligt ist. Er hat ein Netzwerk aus Firmen aufgebaut, die im Bereich der Unternehmensberatung, der Handelsvermittlung (Import, Export), des Glücksspiels, des Immobilien- und Versicherungsgeschäfts und der Gastronomie tätig sind. Ein Rundumservice für das Steintorviertel, das von Bars und Bordellen geprägt ist. Salopp formuliert hat Hanebuth den MC zur GmbH umgebaut. Er war und ist als Gesellschafter und Prokurist in mehreren Firmen aktiv.
Allein mit der Zimmervermietung für Prostituierte lässt sich im Hannoveraner Kiez ein Vermögen verdienen. Im Gespräch mit Huren habe ich erfahren, dass 100 Euro pro Tag eine übliche Zimmermiete sein sollen. Rund 300 solcher Räume dürften die Bordelle | 260 | bieten, wie ich nach einem Rundgang durch mehrere Laufhäuser, wie die billigsten Puffs genannt werden, hochgerechnet habe. Sofern sie voll besetzt wären, kämen Mieteinnahmen von 30 000 Euro pro Tag zusammen. 25 bis 30 Euro verlangten die Sexarbeiterinnen im Frühjahr 2010 für einen »Quickie«. Dauer: 15 bis 20 Minuten. Um die Tagesmiete bezahlen zu können, mussten sie vier Freier am Tag bedienen. Manchmal kämen aber nicht so viele Männer, erzählten mir Prostituierte, obwohl sie sich vom späten Vormittag bis in die Nacht hinein anböten. Damit unter diesen finanziellen Bedingungen keine Schulden entstehen, der Lebensunterhalt bestritten werden kann und gelegentlich ein Heimaturlaub in Afrika oder Asien möglich ist,
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