Blut muss fließen
Englisch-Leistungskurs profitiert haben. Auch das Singen hat er auf dem Gymnasium gelernt: als Chorknabe. Im Jahr 2002 machte der Neonazi das Abitur.
Außer israel- und amerikafeindlichen Texten war es das musikalische Können, das »Race War« internationalen Erfolg bescherte. Live klang die Band nahezu wie auf CD. Den szenetypischen RAC (Rock Against Communism) mixte die Gruppe stilprägend mit metallischen Einflüssen. Neben dem Gitarristen brachte auch der Schlagzeuger entsprechende Erfahrungen mit. Ihre aggressiven Kompositionen rockten buchstäblich. Die Band spielte in wechselnder Besetzung nicht nur in Österreich und Frankreich, sondern auch in Schweden, Belgien und Italien – bei konspirativ organisierten Konzerten, die oft vom Neonazi-Netzwerk Blood & Honour (B&H) organisiert wurden. B&H ist in Deutschland verboten. Trotzdem hatten die Musiker keine Berührungsängste – im Gegenteil. Von ihnen stammt der Song Hail Blood & Honour .
Die Gruppe trat vor bis zu 1300 Leuten auf – weitgehend ungestört, bis ich für das Spiegel TV Magazin das Konzert am 4. Oktober 2003 mit versteckter Kamera gefilmt habe. Zwar war »Race War« aufgrund von Aussetzern meiner Technik selbst nicht zu sehen, aber wenigstens das Publikum. Das reichte für eine kurze Berichterstattung.
Der Elsass-Gig war »doppeltes Risiko«, wie ein Skingirl feststellte. Die Musiker standen kurz vor einer Gerichtsverhandlung, die zwei Tage später in Schorndorf begann. Vor dem Amtsgericht angeklagt waren die Mitglieder der Band »Bärbel and Friends«. Der Verdacht: Bei den vier Männern im Alter von 19 bis 22 Jahren könnte es sich auch um die Besetzung von »Race War« handeln. Auf Nachfrage des Richters bestritten sie das, obwohl zwei von ihnen in Frankreich aufgetreten waren. Die Verhandlung endete für sie mit Geldauflagen beziehungsweise Geldstrafen, weil sie als »Bärbel and Friends« verfassungsfeindliche Kennzeichen verwendet haben sollen. Das konnte den Sänger und seinen Gitarristen aber nicht davon | 36 | abhalten, ein Jahr später im belgischen Broechem nahe Antwerpen erneut zu musizieren: am 11. Dezember 2004.
»Wir sind Nazis und stolz darauf«, sang Max Hirsch bei dem B&H-Konzert. Wie der Instrumentalist Gerhard M. hatte er sich mit einer Nikolausmütze und einem Banditentuch vermummt. Nach wenigen Liedern zeigte der Frontmann allerdings unfreiwillig sein Gesicht, weil beim »Sieg Heil«-Schreien das Tuch rutschte … Er hatte keine Hand frei, um das zu verhindern, weil er mangels Musikern selbst eine Gitarre halten musste. Die zum Duo geschrumpfte Formation hatte an diesem Tag wieder nur einen Schlagzeuger als Verstärkung gefunden, obwohl es sich um ein attraktives Mega-Event handelte: Vor 2000 Skinheads hatte »Race War« bis dahin noch nie gespielt.
Wenige Monate später dachte ich über eine USA-Reise nach. Ku- Klux-Klan und Blood & Honour hatten »Race War« für das Nordic- Fest angekündigt, am 27. Mai 2005 in Dawson Springs, Kentucky. Bei solchen Anlässen pflegen die Klansmen nicht nur das christliche, sondern auch ein Hakenkreuz zu entzünden – ausdrucksstarke Bilder schienen garantiert zu sein. Obendrein versprachen die Veranstalter eine größere und bessere Bühne als in den Vorjahren sowie einen neuen Kinderspielplatz. Kinder bei so einer Veranstaltung? Diese Geschichte schien krass zu werden. Einziges, aber entscheidendes Problem: »No media« – das Filmen war für Besucher verboten. Und in den USA war zu befürchten, dass der »Saalschutz« sogar mit Schusswaffen ausgerüstet sein würde. Da ich keinen Konzertbesuch riskieren wollte, bei dem ich die Kamera nicht hineingeschleust bekäme, habe ich das Projekt gecancelt. Denn die Fahrt- beziehungsweise Flugkosten wären in diesem Fall besonders hoch gewesen.
Wenige Wochen vorher hatte der Bundesgerichtshof das Urteil des Kammergerichts Berlin gegen die Kultband »Landser« bestätigt. Der Sänger der kriminellen Vereinigung, Michael »Lunikoff« Regener, musste ins Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt hatte »Race War« bereits etwas aufgeholt. Die vier Musiker brauchten nur noch gute eineinhalb Jahre, bis sie Ende 2006 ebenfalls wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurden. Nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland waren ihre Liedtexte strafbar, auch wenn sie der Sänger nicht einmal als »radikal« verstanden wissen wollte: | 37 |
»Ich denke, sie sind normal, weil ich nur die Gesetze akzeptiere, die zwischen 1933 und
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