Blut muss fließen
Enthüllungsstück präsentierte eines der Rechercheflaggschiffe des Ersten Deutschen Fernsehens über Das Eva-Prinzip – ein Bericht über »die Provokation der Promimutter Eva Herman«. Sollte da ein neues journalistisches Genre begründet worden sein? Die investigative Buchbesprechung?
In den ersten Jahren habe ich manchmal an meinen journalistischen Bewertungskriterien gezweifelt: Schlage ich Themen vor, die keine sind? Für manche Angebote habe ich vier, fünf Absagen erhalten, bis eine fünfte oder sechste Redaktion zugesagt hat. Renees, also Nazi-»Mädels«, die Geschäftsstrukturen der Nazis und die Nazi-Black-Metal-Szene sind solche Beispiele. Auf meinen Vorschlag hin, über die unheiligen Allianzen zwischen Neonazis, Satanisten und heidnisch-germanischen Christenhassern in der NS-Black- Metal-Szene zu berichten, schrieb mir die Redakteurin eines ARD-Magazins am 19. Mai 2006: »Diese Bands gab es ja schon immer. […] Grund, sich darüber zu empören, aber nicht neu.« Die Kollegen eines anderen ARD-Magazins bewerteten das Thema anders, nämlich wie ich: Drei Wochen nach der genannten Ablehnung, die für mich bereits den x-ten Fehlversuch markierte, sendete Panorama am 8. Juni 2006 die Story über die langhaarigen Neonazis.
Das Problem dieser Praxis, selbst wenn sie doch noch ein vermeintliches Happy End für den Rechercheur findet, ist folgendes: Jede Redaktion, der ein Thema angeboten wird, braucht einige Tage oder gar Wochen, bis sie sich entscheidet. Mit jeder Ablehnung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der nächsten Redaktion, sofern sie Interesse haben sollte, das vorhandene Videomaterial zu alt ist. Folglich sind Rechercheure wie ich gezwungen, immer wieder neue Drehs zu riskieren und zu finanzieren, um auf einem aktuellen Stand zu bleiben. Das verursacht Ausgaben, die hinterher nicht immer erstattet werden – in Form einer Fahrtkosten-, Lizenzgebühren- oder Honorarabrechnung, die teilweise nur symbolischen Charakter hat, wenn man den tatsächlichen Aufwand betrachtet. Wenn | 194 | eine Recherche durch einen Fernsehbeitrag gekrönt wird, heißt das also nicht automatisch, dass damit Geld verdient ist. Hinzu kommen Projekte, für die sich kein Abnehmer findet. Sie in einer Mischkalkulation mit erfolgreich vermarkteten Storys zu finanzieren, ist nach meiner Erfahrung allenfalls noch selten möglich. Im Ergebnis sind derartige Undercover-Recherchen nicht einmal ehrenamtliches Engagement, sondern privates Sponsoring für das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Wenn ein Beitrag mit Videomaterial von mir gesendet worden war, fiel das Feedback in den Schaltkonferenzen der Sender übrigens durchweg positiv aus, soweit ich davon erfahren habe. Das Groteske: In einigen Fällen müssen meine Recherchen sogar aus Magazinredaktionen gewürdigt worden sein, die den entsprechenden Vorschlag von mir zuvor abgelehnt hatten. In einem Fall habe ich das sogar selbst gehört, weil ich bei der Schaltkonferenz dabeisaß. Auf künftige Entscheidungen wirkte sich dieses nachträgliche Lob allerdings nicht positiv aus. Es wurde immer schwieriger, Themen in den Politmagazinen unterzubringen.
Ein Beispiel ist das Versagen des bayerischen Innenministeriums unter Günther Beckstein im Kampf gegen Neonazis, wie es inzwischen in dem Dokumentarfilm »Blut muss fließen« – Undercover unter Nazis und im vorhergehenden Kapitel dieses Buches geschildert worden ist. Nachdem ich Beckstein am 28. März 2007 in seiner Pressekonferenz befragt hatte, bot ich meine Rechercheergebnisse am 4. April 2007 – inklusive des Videomaterials von Dokumentarfilmer Peter Ohlendorf, das bei der Pressekonferenz entstanden war – einem ARD-Magazin an. Die Offerte bestand aus Videosichtlisten im Umfang von 30 Seiten, aus einer vierseitigen Liste mit Nazi-Drehs, aus einem zweiseitigen »Best of« der schlimmsten Liedtexte, aus einer fünfseitigen Themenbeschreibung und aus einigen E-Mails mit weiteren Informationen. Die Ablehnung folgte am 1. Mai 2007: »Herzlichen Dank für das Themenangebot. Leider fehlt uns aber noch das ›Greifbare‹, um in der erwünschten ›Härte‹ gegen das Fehlverhalten des Innenministeriums ansenden zu können.«
Ein weiteres Beispiel: »Nazis und Rocker«. Ich hatte Ende 2010 eine Liste mit 20 Drehs (darunter Neonazi-Konzerte in Rocker- | 195 | Clubhäusern) und eine mehrseitige Themenbeschreibung eingereicht. Meine Hauptthese: »Was seit Jahren im Einzelfall bekannt ist, wird zum Massenphänomen: Nazis
Weitere Kostenlose Bücher