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Blut muss fließen

Blut muss fließen

Titel: Blut muss fließen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kuban
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werden Rocker, und Nazis kooperieren mit Rockern.« Die Antwort aus der Redaktion eines öffentlich-rechtlichen Senders, in der meine Erkenntnis inhaltlich umgedreht wurde, fiel so aus:
    »Rocker werden zu Nazis. Das klingt in der Tat interessant und wäre, wenn es stimmt, in der Tat eine neue Qualität, über die man berichten müsste. Allerdings muss es stimmen und beweisbar sein. Folgende Gesichtspunkte müssten aus meiner Sicht erfüllt werden, um die Rocker wirklich als Nazis zu entlarven: Überfallen die Hells Angels oder Bandidos Synagogen? Schänden sie jüdische Friedhöfe? Stecken sie Asylanten-Wohnheime an? Überfallen sie Ausländer? Überfallen und verprügeln sie linke Aktivisten? Protestieren sie gegen Moscheen? Sprechen sie sich für Minarett-Verbote aus? Werden sie politisch aktiv? Wollen sie die parlamentarische Demokratie in Deutschland abschaffen? Dass Nazi-Bands bei Rockertreffen auftreten, ist für mich noch keine neue Qualität. Auch nicht, wenn die Rocker Leute aus der Nazi-Szene für ein paar Jobs rekrutieren.«
    Wer nach solchen Kriterien arbeitet, verpasst Entwicklungen in ihrer Anfangsphase – und berichtet zwangsläufig erst dann, wenn eine Entwicklung eskaliert ist. Bis die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurden, haben die meisten Medienvertreter geschrieben und gesendet, was ihnen Verfassungsschützer in den Block diktiert oder vor laufender Kamera gesagt hatten. Nazi-Terror gab es deshalb einfach nicht in Deutschland. Vor der Weltfinanzkrise verhielt es sich ähnlich. Wo waren die großen warnenden Berichte in den Massenmedien vor der Pleite der US-Bank Lehman Brothers? Das komplexe Börsenthema dürfte in die Ablehnungsrubrik »zu speziell« gefallen sein. Und deshalb brachen die Krise und der Nazi-Terror so überraschend wie eine Naturgewalt über uns herein.
    Derart oberflächlich arbeitende Redakteure haben letztlich neben maßgeblichen Politikern und Verfassungsschützern mit dazu beigetragen, dass sich die Neonazi-Szene zu einer Bewegung entwickeln konnte, in der sich genügend Unterstützer für eine Terrorzelle wie | 196 | den Nationalsozialistischen Untergrund finden. Diese Bewegung profitiert von wachsenden Geschäftsstrukturen aus politischen Versänden und Läden, die gleichzeitig als Anlaufstelle für junge Leute fungieren, sowie von Neonazi-Konzerten, die teilweise erst dank fragwürdiger Gerichtsentscheidungen möglich werden.
    In diesem Bewusstsein habe ich Anfang Februar 2012 vier Fernsehmagazinen ein Drehangebot gemacht. Im Gasthaus Zur Deutschen Eiche in Rothenburg-Geheege – wo laut dem Konzertorganisator Rechtsrockgigs von einem Verwaltungsgericht möglich gemacht worden sind – sollten zum x-ten Mal einschlägige Bands auftreten. Zwei Redaktionen haben auf mein Angebot hin überhaupt nicht geantwortet. Eine hat erst nach dem Konzerttermin geschrieben: »Hallo, wir planen derzeit eine Doku über den NSU. Interessant wäre, ob es bei den Konzerten der letzten Wochen irgendeine Anspielung auf den NSU gab. Was konntet Ihr drehen?« Meine Antwort:
    »Bei Konzerten in den vergangenen Wochen wurde gar nicht gedreht, da ich nicht mehr drehe, wenn vorher nicht eine Redaktion wenigstens die Kostenübernahme zusagt. Denn ich wäre des Wahnsinns, wenn ich noch mehr Material sammeln würde, das mir nachher keiner abkauft. […] Am nächsten Wochenende sind erneut Konzerte angekündigt – eines davon käme zumindest mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit dafür in Frage, dass dort der eine oder andere ›Scherz‹ über den NSU gemacht wird. Aber auch da gilt: Ich werde die round about 700 bis 800 Euro für Fahrt, Übernachtung, Eintritt und Co. nicht aus eigener Tasche investieren.«
    Die Reaktion des Redakteurs: »Ist verstanden. Ich kläre, ob die Redaktionsleitung das unterstützt.« Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört oder gelesen – die Redaktionsleitung hat wohl abgewinkt. Wie die Chefs einer weiteren Redaktion, die ich Anfang Februar 2012 angeschrieben hatte: null Interesse an der Gerichtsproblematik. Der Kollege, der mir das mitteilte, bedauerte das selbst – er konnte in seiner Position aber nichts an der Ablehnung ändern: Das Konzert interessiere die Redaktion nur, wenn etwas mit NSU-Bezug passiere, erklärte er mir. Aber das sei ungewiss. Und für Drehs mit ungewissem Ergebnis sei gerade kein Geld da. | 197 |
    Wer nur noch mit der Kamera vor Ort ist, wenn das Ergebnis vorhersehbar ist, der entdeckt viele Themen nicht

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