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Blut muss fließen

Blut muss fließen

Titel: Blut muss fließen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kuban
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sondern auch Redakteure empört. Die Unterhaltung wird im Programm derart priorisiert, dass sogar die Information zunehmend in unterhaltende Formate gepackt wird, zum Beispiel in Talkshows, von denen es immer mehr gibt. Information + Entertainment = Infotainment.
    Mir war es aufgrund dieser medialen Marktlage leider nicht möglich, zum Hammerfest mit »Gigi« zu fahren, das in Nordfrankreich oder Belgien stattfinden sollte. Auf die Anfragen, die aus dem Interesse am Song Döner-Killer resultierten, konnte ich im November 2011 aber immerhin Videomaterial des NPD-Konzerts in Mitterschweib aus dem Jahr 2005 anbieten, bei dem zwar »Gigi« seinen Auftritt dem Vernehmen nach kurzfristig abgesagt hatte, aber die Formation »Blutstahl/SKD« die Coverversion eines Songs von ihm spielte: Schwarze Division  – ein Aufruf, Kreuzberg mit einer SS-Division dem Erdboden gleichzumachen, da es sich um eine »türkische Stadt auf deutschem Boden« handele. Da Daniel Giese damals nicht selbst auf der Bühne gestanden hatte, interessierte das die meisten Redaktionen nicht.
    Meine Bilanz: Ich hatte zwar viele Fragen beantwortet und entsprechend Zeit aufgewendet, aber – wie gewohnt – fast kein Videomaterial verkauft. Und diese Fachberatung honoriert in der Medienbranche kaum jemand. Einfach mal als Vergleich: Lässt sich ein freier Journalist eine Homepage für seinen Internetauftritt anfertigen, muss er mit runden 100 Euro pro Programmiererstunde rechnen, auch für die Beratung. Ein Tagessatz von 200 bis 250 Euro, wie ihn das öffentlich-rechtliche Fernsehen an freie Journalisten zahlt, wenn sie an einem Beitrag arbeiten, reicht folglich für maximal zweieinhalb Programmiererstunden.
    Allein von 2003 bis 2010 habe ich mehr als 130 000 Euro in meine Undercover-Recherchen investiert, die Bilanzierung für 2011 steht | 188 | noch aus. Auf einen Großteil meiner Themenvorschläge bekam ich nicht einmal eine Antwort. Und unter den Absagen gab es zwei Kategorien. Erstens, die von Oberflächlichkeit und Ignoranz geprägten: »zu speziell«, »Déjà-vu«, »more of the same« und »Ich seh’ das Thema nicht«. Zweitens die strukturellen Gründe: zu wenig Geld im Redaktionsetat oder kein Platz mehr in der Sendung.
    »Zu speziell« waren all jene Themen, die nicht als plakativ genug erschienen, um sie in Kurzbeiträgen darstellen zu können, wie sie in Politmagazinen üblich geworden sind. Beiträge über die Gefahr der völkisch und nationalistisch geprägten Botschaften, die von Bands aus der politischen Grauzone in vollen Großstadthallen ausgeht, braucht man schon gar nicht anzubieten. Denn diese Bands begehen keine Straftaten – und Straftaten sind für viele Redakteure, mit denen ich zu tun hatte, ein wichtiges Entscheidungskriterium. Kein Hitlergruß? Kein Thema! Straftaten sind die Voraussetzung dafür, die Polizei in fünf Minuten medial an die Wand stellen zu können, weil sie nicht eingegriffen hat – aber das gilt längst als »more of the same«.
    Müsste nicht gerade ein Missstand, der trotz mehrfacher Berichterstattung weiter besteht beziehungsweise größer wird, erneut zum Thema werden? Die Nachrichtenfaktoren, die ich während meiner Ausbildung kennengelernt habe, scheinen nur noch eingeschränkt zu gelten. So wird der Neuigkeitswert des konkreten Rechercheergebnisses übersehen, wenn in Redaktionen Gleichungen wie »Rechtsrockthema gleich Rechtsrockthema« oder gar »Nazi-Thema gleich Nazi-Thema« gelten. Auch die gesellschaftliche Relevanz scheint bei Vorschlägen mit Neonazi-Bezug allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zur Erinnerung: Nach Zählung der Amadeu-Antonio-Stiftung sind von 1990 bis Anfang 2012 rund 180 Menschen in Folge von Nazi-Gewalt gestorben. Was wäre wohl einst in den Medien losgewesen, wenn die Rote Armee Fraktion (RAF) 180 Leute umgebracht hätte? Oder ist es längst normal, dass Neonazis Menschen töten – also nur »more of the same«?
    Ein Redaktionsleiter aus einem öffentlich-rechtlichen Sender war bereits vor meinem ersten Dreh der Meinung, »schon öfter solche von Ihnen versprochenen Aufnahmen in Magazinen oder in länge | 189 | ren Dokumentationen gesehen« zu haben. Die Nazis wussten es besser, wie aus ihren Foreneinträgen nach dem ersten Beitrag mit Videomaterial von mir hervorging. Bevor ich mit versteckter Kamera Kopf und Kragen riskiert habe, mussten die Magazine bei Rechtsrockbeiträgen auf Videos zurückgreifen, die von Nazis verkauft wurden und teilweise

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