Blut muss fließen
gehören zu den etablierten Strukturen. Obwohl der Film »Blut muss fließen« in Freiburg und damit in Baden-Württemberg produziert wurde, was ein zentrales Förderkriterium der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) ist, floss während der Produktion kein Cent Unterstützung. Peter Ohlendorf: »Dieser Film über die Rechtsrockszene in Deutschland und Europa ist ein gutes Beispiel für den immer reduzierteren Umgang mit politischen und gesellschaftlich-relevanten Stoffen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Medienstrukturen in Deutschland: Es gelang nicht, für diese Produktion einen Sender zu finden, und infolge dessen waren auch die Türen für eine Filmförderung verschlossen.«
Wer von Sendern finanziert wird, bekommt dank Filmförderung offenbar eher noch mehr – während jemand, der komplett selbst finanzieren muss, auf sich alleine gestellt bleibt. Im Jahr 2010 gewährte die MFG beispielsweise eine halbe Million Euro für die zweite Staffel der ZDF-Krimiserie SOKO Stuttgart, die von der Bavaria Fernsehproduktionen GmbH gedreht wird.
Erst im Hinblick auf die Berlinale stellte die MFG dem Kollegen Ohlendorf ein Darlehen in Aussicht, aber keinen Zuschuss. Und nachdem wir uns bei Staatssekretär Jürgen Walter (Grüne) aus dem Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg nach anderen Zuschusstöpfen für ein Projekt wie das unsere erkundigt hatten, entschloss sich die MFG, rückwirkend jene Kosten zu übernehmen, die auf der letzten Produktionsetappe entstanden sind, um den Film für die Berlinale fertig und technisch auf Kinoniveau zu bekommen. Das schlug mit mehr als 20 000 Euro zu Buche. Peter Ohlendorf hält fest: »Es muss sich etwas ändern an den Förderstrukturen im Dokumentarfilmbereich. Gerade dann sind freie, unabhängige Produktionen zu unterstützen, wenn sie sich relevanten, unbequemen Themen widmen, die von den quotenorientierten öffentlich-rechtlichen Funkhäusern ignoriert und damit in der Regel nicht mehr realisiert werden.«
Der Abbau von Recherche und eigener Hintergrundberichterstattung ist allerdings nicht nur ein Phänomen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, sondern auch der Printmedien, der Tageszeitun | 200 | gen beispielsweise. Die Zahl der Verleger früherer Prägung, die ein ähnliches Berufsethos wie Redakteure haben, schrumpft. An ihre Stelle treten Investoren, Spekulanten und Manager. Und denen ist die Rendite wichtiger als die Recherche. Heute werben manche damit, dass sie ein paar Leute in speziellen Rechercheabteilungen das machen lassen, was früher viele, wenn nicht gar fast alle, und obendrein ganz selbstverständlich gemacht haben. Außerhalb dieser Teams werden freie Journalisten für aufwendige Recherchen in der Regel unterbezahlt, und angestellte Redakteure müssen unentgeltlich Überstunden machen, wenn sie sich dafür Zeit nehmen wollen. Manche machen das, viele nicht.
Dass weniger recherchiert wird, fällt den Lesern nur bedingt auf, weil ersatzweise Hintergrundberichte von Presseagenturen gedruckt werden. Die Presseagentur DAPD hat diesen Bedarf erkannt und ein Investigativressort eingerichtet. Der Unterschied: Früher haben viele Tageszeitungen viele Missstände recherchiert und sich auf diese Weise profiliert – heute recherchieren wenige Presseagenturen vergleichsweise wenige Problemlagen, die dann von vielen gedruckt werden. Zugespitzt formuliert, herrscht zunehmend Agentureinfalt statt Tageszeitungsvielfalt.
Weil fast alle die Rechercheleistungen weggespart haben, dürfte im Bereich der investigativen Recherche sogar eine Marktnische entstanden sein. Hat das im Fernsehbereich ausgerechnet ein kommerzieller Sender erkannt, der bisher absolut nicht als das Flaggschiff der investigativen Recherche galt? RTL strahlte im Sommer 2012 eine Dokumentation des Altmeisters der Undercover-Recherche aus, von Günter Wallraff. Auch er war mit versteckter Kamera unterwegs, in einem Logistikunternehmen. Er berichtete über zu lange Arbeitszeiten, fehlende Pausen und tarifferne Stundenlöhne von Paketzustellern: »Wallraff deckt auf!« Bei RTL, nicht bei ARD oder ZDF. | 201 | | 202 |
Kapitel 10
GEWALTIGE GEWINNE – POLITISCHER PROFIT
»Selbstverständlich unterstützen wir laufend alle möglichen (und unmöglichen) nationalen Projekte.«
Thorsten Heise, Neonazi-Versandhändler und Ex-Mitglied im NPD-Bundesvorstand | 203 | | 204 |
Neonazis und (sonstige) Gewalttäter sind eine gewinnbringende Kundengruppe. Manche Einzelhändler verkaufen CDs
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