Blut muss fließen
Fußballspielen« erforderlich gewesen. In den vergangenen zwölf Spielzeiten (seit dem Jahr 2000) seien allein bei Begegnungen der beiden Profiligen insgesamt 41 335 Personen festgenommen und 51 806 Ermittlungsverfahren gegen gewaltbereite Störer eingeleitet worden.
Bei meinen Recherchen habe ich Radau und Randale in Stadionnähe sowie bei der An- und Abreise dokumentiert. Bei den Tätern dürfte es sich daher in der Mehrzahl um Ultras und nicht um Old- School-Hools gehandelt haben. Eine Differenzierung gestaltet sich jedoch als schwierig. Die Bundesregierung hat den Bundestag darüber informiert, »dass sich ein Teil der gewaltbereiten Hooliganszene in Ultragruppierungen integriert hat«. In öffentlichen Debatten werden Fußballgewalttäter in der Regel als Hooligans bezeichnet.
Das erste Spiel habe ich mir am 2. April 2006 angesehen, Wismut Aue gegen Dynamo Dresden, eine Partie der Zweiten Bundesliga. Pyrotechniker der Dresdner Ultras machten dort erwartungsgemäß mit Rauchzeichen im Fanblock auf sich aufmerksam. Und nach dem Spiel musste ich feststellen, dass ich einmal mehr an Nazis geraten war. Aggressive Dresdner Fans skandierten: »Wismut Aue – Jude, Jude, Jude.« Das fand ich kurios. Denn auch in Aue gab es eine Nazi-Szene und einen Nazi-Laden, den Sonnentanz. Tags zuvor hatte ich dort eingekauft und im Verkäufer den Sänger der einschlägigen Band »T.H.O.R.« erkannt.
Mir wurde bewusst, dass es bei den Schlachten nach Fußballspielen passieren kann, dass Nazis gegen Nazis losschlagen. Das Landesamt für Verfassungsschutz berichtete auf Anfrage: »Im Freistaat | 223 | Sachsen existieren personelle Schnittmengen zwischen Rechtsextremisten und Hooligans. Schätzungsweise 15 Prozent der Angehörigen der Hooliganszene weisen Bezüge zum Rechtsextremismus auf. Ein Beispiel für eine solche Schnittmenge ist die Hooliganszene im Umfeld des 1. FC Dynamo Dresden. Bei dieser gibt es personelle Überschneidungen mit der rechtsextremistischen Szene in Dresden und der Sächsischen Schweiz.« Eine mögliche Folge: »Die bestehenden Verbindungen bergen die Gefahr, dass sich die beiden – zweifelsohne gewaltbereiten – Szenen anlassbezogen gegenseitig mobilisieren können, um gewalttätig gegen vermeintliche Gegner vorzugehen.«
Politisch klare Fronten herrschten am 22. April 2006 in Berlin, beim Oberliga-Lokalderby des türkischen Clubs Türkiyemspor gegen den BFC Dynamo. »Etwa 5 Prozent der beim Verfassungsschutz gespeicherten Rechtsextremisten sind zugleich polizeilich bekannte gewaltbereite oder gewaltsuchende Hooligans« – so der damaligen Kenntnisstand der Verfassungsschutzabteilung innerhalb der Berliner Senatsverwaltung. Der Anteil der Neonazi-Sympathisanten im BFC-Fanblock schien mir jedoch um ein Mehrfaches höher zu liegen, grob geschätzt bei 70 bis 80 Prozent. Das ließen nicht nur T-Shirts von Thor Steinar und Co. erahnen, sondern das machten auch die Sprechchöre beim Abmarsch deutlich. Verächtliche »Asylanten, Asylanten«-Rufe ertönten. Einige BFC-Fans stimmten das neonazistische U-Bahn-Lied an: »Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir .« Die Passage »von Jerusalem bis nach Auschwitz« verkniffen sich die meisten allerdings in Anwesenheit der Polizei, die den Tross eskortierte und sich immer wieder jemanden aus der Menge griff und abführte.
Am Bahnsteig angekommen, preschte ein einzelner Bereitschaftspolizist in den Fanpulk hinein. Er hatte einen dunkelhäutigen Jungen entdeckt, der gerade aus der U-Bahn stieg. Das fünf- oder sechsjährige Kind vor Augen, das bereits von dem Beamten geschützt wurde, sagte ein BFC-Hool vor mir: »Lasst mal den Neger-Bastard durch.« Diesen Menschenverachtung derart konkret zu erleben, gegen einen kleinen Buben gerichtet, erschütterte mich wie kein zweites Erlebnis in knapp 15 Recherchejahren. Einer der Skinheads | 224 | hatte sich seine Gesinnung sogar in den Nacken tätowieren lassen: »Menschenfeind«.
Wenn solche Menschenfeinde angreifen, greift die deutsche Polizei zu Schlagstöcken und Wasserwerfern – die Schweizer Polizei zu brutaleren Mitteln: Sie hält Steine- und Flaschenwerfer mit Gummigeschossen auf Distanz. Damit habe ich mich auseinandergesetzt, nachdem ich in Internetforen darauf aufmerksam geworden war, dass Mannheimer und Basler Fußballgewalttäter eine »Fan«- Freundschaft zu pflegen scheinen. Und in Basel stand eine besonders konfliktträchtige Begegnung an: FC Basel gegen FC Zürich, der Tabellenerste gegen
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