Blut muss fließen
den Zweiten, am letzten Spieltag der Saison, am 13. Mai 2006. Ich wollte mich auch dort unter gewaltbereite Ultras mischen und nach Mannheimern Ausschau halten, fürchtete jedoch die Gummigeschosse, die in Deutschland verboten sind. Nach Informationen der deutschen Gewerkschaft der Polizei (GdP) muss beinahe jeder zweite Getroffene ins Krankenhaus, in Nordirland seien sogar Todesopfer zu beklagen gewesen. Trotzdem habe ich den Undercover-Einsatz in Basel riskiert. Um einen Puffer im Rücken zu haben, falls mich eines der Geschosse beim Wegrennen treffen sollte, setzte ich einen Rucksack auf und machte dann aus der Not eine Tugend, indem ich darin eine zweite versteckte Kamera installierte. Die andere trug ich, wie üblich, im Brustbereich. Das versprach spektakuläre Bilder zu geben. Egal, ob Angriff oder Flucht: Die Hools hinter mir würde ich aus dem Rucksack heraus von vorne filmen können, jene vor mir von hinten. Das war der Plan.
Doch es kam erstens anders und zweitens, als ich dachte. Als ich, vermeintlich pünktlich zum Spielende, nach stundenlanger Fahrt die Stadt Basel erreichte, kamen schon die ersten Krawallmeldungen im Radio. Ich war zu spät dran, offenbar war ich einer falschen Uhrzeit im Internet aufgesessen. Und als ich vor dem Stadion Sankt Jakob eintraf, herrschten dort bürgerkriegsähnliche Zustände. Das Stadtquartier lag im Tränengasnebel, aus verschiedenen Richtungen war das Knallen zu hören, das vom Abfeuern der Gummigeschosse herrührte. Es bot sich ein Bild der Zerstörung. Ein Auto stand demoliert auf einer gesperrten Hauptverkehrsstraße. Eine große Mülltonne lag umgekippt am Boden und brannte. Ein Verkehrsschild | 225 | war herausgerissen. Der FC Zürich hatte in der 93. Minute, also in der Nachspielzeit, das 1:2 geschossen und damit die Meisterschaft errungen. Daraufhin rasteten gewaltbereite Basel-Fans aus. Laut Medienberichten stürmten sie das Spielfeld. Der Polizeieinsatz begann auf dem Rasen des ausverkauften Stadions, buchstäblich eine dritte Halbzeit. Ich hatte das meiste verpasst, aber dafür auch kein Gummigeschoss abbekommen.
Ein Jahr später, im Frühjahr 2007, begann das Schweizer Fernsehmagazin Rundschau mit Hooligan-Recherchen auf die Fußball-Europameisterschaft hin, die 2008 in der Schweiz und in Österreich ausgetragen werden sollte. Wieder spielte Zürich in Basel, am 22. April 2007. Ich reiste überpünktlich an und filmte mit einer Mini-DV-Kamera bereits den Extrazug für Fans aus Zürich, als er am Stadionbahnhof einfuhr. Noch bevor er stand, flogen Flaschen aus den Fenstern und ein Böller explodierte. Auf dem Bahnsteig brannte eine Rauchbombe.
Wie Löwen im Zirkus mussten die FC-Anhänger zwischen Gittern hindurch zu den Stadioneingängen laufen. Anschließend wechselte ich die Seiten, zu den Basel-Ultras hinüber. Deren Botschaft lautete: »Tod und Hass dem FCZ!« Eine homophobe Aggression habe ich ebenfalls dokumentiert: »Alle Zürcher sind schwul.« Neonazistische Äußerungen im engeren Sinne waren keine zu vernehmen – sogar die Hooligans schienen gewissermaßen dem politischen Neutralitätsanspruch den Schweiz zu genügen.
Dieser Eindruck verkehrte sich am 25. August 2007 ins Gegenteil. Die Rundschau wollte das Spiel Luzern gegen Basel aus drei Kameraperspektiven verfolgen: Die Autorin sollte den Einsatzleiter der Polizei begleiten, ein Kameramann des Schweizer Fernsehens mit Helmkamera zwischen den Bereitschaftspolizisten an der Front stehen und ich mich mit meinen zwei versteckten Kameras einmal mehr unter die Hooligans mischen.
In Basel bestieg ich den Extrazug für FC-Fans, in einem Waggon voller Ultras nahm ich Platz. Kaum hatte die Fahrt begonnen, bezogen sie singend Stellung: »Scheiß Polizei.« Es folgte der Sprechchor: »All Cops Are Bastards – A.C.A.B.« Und da kam sie auch schon, die Polizei. Die Beamten wollten durchsetzen, dass der Schaffner auch | 226 | in diesem Abteil die Fahrkarten kontrollieren konnte – vergeblich. Die Hooligans verschanzten sich im hinteren Drittel des Waggons und bestiegen die Sitzbänke. Ihre Ansage: »Hier regiert der FCB.« Antisemitisches Geschrei folgte: »Luzern, Luzern – Juden Luzern. Luzern, Luzern .« Statt unmittelbar die Personalien festzustellen, um ein Ermittlungsverfahren einleiten zu können, zogen Polizisten und Schaffner unverrichteter Dinge wieder ab. Die Hools riefen ihnen hinterher: »Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn!« Und: »Eure Eltern sind Geschwister.« Die letzten
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