Blut muss fließen
Hemmungen waren gefallen. Einige grölten »Sieg Heil« und zeigten den Hitlergruß. Und es wurde das altbekannte U-Bahn-Lied angestimmt, wobei die U-Bahn in diesem Fall »von Luzern bis nach Auschwitz« gebaut wurde.
Im Luzerner Bahnhof angekommen, verließen die meisten das Abteil durch die Fenster. Und schon detonierte die erste Rauchbombe auf dem Bahnsteig. Die Protagonisten hatten sich inzwischen vermummt. Auf der anschließenden Busfahrt donnerten sie ihre Fäuste gegen Decke und Scheiben. Das Empfangskomitee der Polizei am Stadion begrüßten sie mit der Beleidigung: »Ich bin nichts, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform.«
Auf dem direkten Fußweg ging es in die Luzerner Fußballarena. Mir ist es gelungen, meine zwei versteckten Kameras durch die Leibesvisitation des Sicherheitsdienstes zu schleusen – den Basel-Ultras gelang das mit Feuerwerkskörpern. Sie zündeten im Laufe des Spiels Rauchbomben und ein bengalisches Feuer. Dazu sangen sie: »Wenn das ganze Stadion brennt .« Wie schon im Zug ertönte im Block der Gästefans der Sprechchor »Luzern, Luzern – Juden Luzern«.
Von der Polizei auch auf dem Rückweg professionell abgeschirmt, setzten die Hooligans auf dem Bahnsteig alles auf eine Karte: Sie stürmten auf eine Polizeisperre los, ich mittendrin, aber natürlich nur in der dritten, vierten Reihe. Kurz vor dem Erreichen der Sicherheitskräfte setzten jene Tränengas und Gummigeschosse ein – eines traf mich beim Wegrennen unterhalb des Rucksacks am Rücken. Zum Glück war die Entfernung schon so groß, dass nur ein blauer Fleck zurückblieb. Was allerdings ärgerlich war: Praktisch gleichzeitig versagten meine beiden Kamerasysteme den Dienst, eines davon aus unerfindlichen Gründen, das andere, weil der Akku leer war. Die | 227 | Hooliganattacke im Luzerner Bahnhof konnte ich daher nicht dokumentieren, sondern nur die Atmosphäre anschließend, geprägt von Tränengasnebel und dem Knallen von Gummigeschossen. Diesen Tumult gab es übrigens, obwohl der FC Basel 4:2 gewonnen hatte.
Gegen 21.30 Uhr stieg ich im Baseler Bahnhof aus. Zu spät, um das kulturelle Rahmenprogramm noch nutzen zu können, das Hooligans an diesem Abend in der Schweiz geboten bekamen: ein konspirativ organisiertes Konzert mit der Bremer Band »Kategorie C«. Der Name ist Programm, angelehnt an die bereits erwähnte polizeiliche Einteilung der Fans in die Kategorien A, B und C. Am Bahnhof in Wiesendangen bei Winterthur hatten sie sich verabredet, knapp eineinhalb Autostunden von Basel entfernt. Ab 17.30 Uhr sollte sie von dort aus ein Shuttlebus zum Konzertort bringen, da war das Spiel in Luzern noch nicht einmal angepfiffen. Auf 20 Uhr war der Konzertbeginn terminiert, viel zu früh für Baseler Hools.
Was in der Schweiz – und nicht nur dort – noch im Verborgenen lief, wollte »Kategorie C« in den folgenden Monaten in den öffentlichen Raum verschieben, aus der Braun- in die Grauzone. Denn je mehr Leute Konzerte besuchen können, desto mehr Geld ist zu verdienen. Damit diese Rechnung aufgeht, hieß »Kategorie C« plötzlich »Hungrige Wölfe«. Und für deren Konzert am 10. November 2007 im sächsischen Adorf unter dem Motto »Fußball ist Fußball – Politik ist Politik« gab es Eintrittskarten im Internet zu bestellen, bei der Kartenhaus Ticketservice GmbH. Bei dieser Gelegenheit sollte, im Vergleich zu konspirativen Rechtsrockkonzerten, ein höheres Preisniveau etabliert werden: 12,80 Euro für nur zwei Bands. Als Vorgruppe war »Fate« angekündigt, die ich nicht kannte.
Ich wählte die Abendkasse, da es sich bei mir erst im Laufe jenes Samstagnachmittags klärte, dass ich dafür Zeit hatte. Es wurde allerdings relativ spät, bis ich nach Adorf aufbrechen konnte. Die Kleinstadt liegt in einem südlichen Zipfel Sachsens, der in die Tschechische Republik hineinragt. Rund fünf Kilometer tschechisches Staatsgebiet trennen die mehr als 5000 Einwohner von der bayerischen Grenze.
Angesichts der knappen Zeit war ich froh, dass ich den Konzertort mit meiner Wegbeschreibung aus dem Internet schnell gefun | 228 | den hatte – dachte ich zumindest, als ich im Zentrum Jugendliche in Thor-Steinar- und Flecktarnbekleidung herumstehen sah, wo mein Routenplan endete. Aber wo war die Kneipe The Rock? Ich fragte ein paar junge Leute. Sie erklärten mir zu meiner Überraschung, dass sie im Stadtteil Remtengrün liege. Auf Verkehrsschildern konnte ich den Ort aber nicht entdecken, also kramte ich meinen Laptop
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