Blut Schatten
Ausrufes konnte sie das Lachen nicht unterdrücken. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«
»Ich wollte so lediglich das Herabfallen einer Frucht verhindern.« Diesmal galt sein Zwinkern ihr, und er zuckte nicht im Mindesten zusammen, als ihre Hand seine Wange berührte und sanft tätschelte. »Du Schlingel. Aber jetzt ist Schluss mit dieser Charmeoffensive. Ich bin zu alt für solcherlei Übergriffe. Wo waren wir? Ach ja, dein Traum, Faye.«
Noch einmal berichtete ich von den Bildern meines Traums. Ernestine hörte ruhig und aufmerksam zu, nickte einmal und ließ eine Weile verstreichen, ehe sie schließlich meinte: »Wölfe sind Wächter der Erde. Werwölfe sind sehr wehrhafte Wächter, sind aber nicht gerade Intelligenzbestien. Irgendwelche Einwände, Alistair? Du siehst aus, als ob du welche hättest.«
»Nicht direkt. Wobei du zwischen Lykaonern und Werwölfen unterscheiden solltest. Insbesondere, was die Intelligenz betrifft.«
»Klär mich auf, Bruderherz.« Durch seinen merkwürdigen Tonfall neugierig geworden, blickte ich ihn an und stellte die Kaffeetasse beiseite.
»Das Bewusstsein macht den Unterschied, Faye. Ein Lykaoner kann sich willentlich verwandeln, er hat sich zuvor durch eine Art Initiation frei entschieden, zu einem Lykaoner zu werden. Während der Verwandlung wird er niemals seinen Intellekt verlieren und weiß immer, was er tut. Bei einem Werwolf ist es der reine, triebhafte Instinkt, ausgelöst durch einen ansteckenden Biss. Der Vollmond erscheint und – paff! – er wird zur hirnlosen Tötungsmaschine und mäht alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Dabei macht er keinen Unterschied zwischen Freund und Feind. Am nächsten Tag erinnert er sich an nichts mehr. Folglich kann zwar jeder Idiot zu einem Werwolf werden, aber nicht jeder zu einem Lykaoner. Und da du nicht angegriffen wurdest, gehe ich davon aus, dass du einen Lykaoner gesehen hast.«
»Das wusste ich gar nicht. Interessant«, murmelte Ernestine und umfasste nachdenklich ihr Kinn.
Mir leuchtete die Erklärung durchaus ein, zumal ich bereits Zeugin einer solchen Verwandlung geworden war. Allerdings hatte ich Darian nie danach gefragt und mich nicht weiter in diese Thematik vertieft. »Aha. So wie jeder Idiot zu einem Vampir werden kann, wenn er gebissen wird. Woher weißt du das alles?«
Er lächelte matt. »Ich habe mich eine Weile damit beschäftigt. Der Wolf gehört zu meinen Spirits, daher bot es sich an.«
»Stimmt es denn, dass Vampire und Werwölfe Todfeinde sind?«
»Faye.« Sein Blick wurde geringschätzig. »Du hast definitiv zuviel Mist im Fernsehen gesehen. Was in irgendwelchen Filmen gezeigt wird, ist zwar teilweise irre spannend, entspricht aber eher wenig der Realität.« Dann lachte er leise. »Ich gebe allerdings zu, dass Underworld und Blade zu meinen Lieblingsfilmen zählen.«
»Filme, die ich nicht kenne«, warf Ernestine ein und kam zurück zum eigentlichen Punkt. »Diese Schlangen, oder was auch immer dich an den Knöcheln fesselte – was, glaubst du, symbolisieren sie?«
»Hätten sie meine Handgelenke umwickelt, würde ich das so interpretieren, dass mir in gewissen Dingen die Hände gebunden sind«, erwiderte ich grübelnd. »Aber da sie meine Füße erwischt haben ...«
»... haben sie dich ebenfalls bewegungslos gemacht«, ergänzte Alistair bedeutungsvoll. »Sie halten dich an Ort und Stelle gefangen, du kommst nicht voran. Das würde vielleicht auch erklären, warum du um dich geschlagen hast.«
»Ach ja?«
»Ich lasse dich gern an meiner grenzenlosen Weisheit teilhaben, Schwesterchen.« Flugs duckte er sich unter meinem spielerischen Boxhieb ab. »Wenn du etwas hasst wie die Pest, kleine Schwester, dann ist es die aufgezwungene Untätigkeit in Bezug auf Darians Verschwinden und seine Unternehmungen. Du kommst nicht voran, und dir wurde von ihm persönlich jedes weitere Einschreiten ausdrücklich verboten. Oder hast du dich inzwischen damit abgefunden?«
»Nein.«
»Siehst du? Beweis erbracht.« Triumphierend blitzten mich seine grünen Augen an.
Ergeben hob ich die Hände. »Okay, okay. Das erklärt wahrscheinlich die Fesseln. Aber was hat dieser Werwolf in meinem Traum zu suchen?«
»Ein Schutz?«, schlug Ernestine vor und zuckte mit den Schultern, als unsere Blicke ihr zuflogen. »Es ist nur ein Gedanke.«
»Lass mich den Faden mal weiterspinnen«, stürzte Alistair sich begeistert auf diese Idee. »Diese Wesen sind Erdhüter, sofern wir von Lykaonern ausgehen und nicht diese
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