Blut Schatten
hätte es mich angreifen sollen? Ich habe ihm doch nichts getan.«
Er war zweifelsohne verblüfft, als er sagte: »Du hattest keine Angst?«
»Nein. Hätte ich die haben sollen?«
Sein Lachen klang alles andere als humorig. »Du beschreibst einen Werwolf, stehst direkt davor und hast keine Angst?«
»Ach, das war ein Werwolf? In den Büchern, die ich bei Darian in der Bibliothek fand, waren diese Wesen wesentlich grusliger dargestellt. Und den damals in seinem Garten konnte ich nicht richtig erkennen. Er war leider zu weit entfernt. Wobei ich eher denke, dass es ein Lykaoner war, denn er konnte sich willentlich verwandeln.«
»Darian hatte ...« Alistairs Stimme überschlug sich beinahe. Er räusperte sich, schüttelte dann fassungslos den Kopf und murmelte undeutlich: »Das erklärt allerdings eine Menge.«
»Ach. Tut es das, Alistair?«
»Kaffee mit Sahne, sagtest du?«
»Weich nicht aus«, rief ich ihm nach, da blickte ich bereits auf die zufallende Tür zum Hausflur. Was war denn in ihn gefahren? Es war doch lediglich ein Traum. War es doch, oder?
»Hast du zusätzlich etwas anderes gesehen?«, fragte mein Bruder wenige Minuten später. Er stand vor mir und hielt dabei den verlockend duftenden Kaffee außerhalb meiner Reichweite, als wolle er meinem Gedächtnis damit auf die Sprünge helfen.
Ich rutschte bis zur Sofakante vor, die weit über mir schwebende Tasse fest im Blick. »Irgendeinen Schatten. Und jemand oder etwas griff nach mir. Am Knöchel. Es fühlte sich erst merkwürdig weich an und zog sich dann fest. Das weiß ich wieder. Vermutlich habe ich deswegen um mich geschlagen. Was danach geschah, daran erinnere ich nicht mehr. Kann ich jetzt bitte den Kaffee bekommen?«
»Schlangen?«, murmelte Alistair und reichte mir gedankenverloren die Tasse.
»Schlangen?«, wiederholte ich angewidert, schüttelte mich und nahm zum Nachspülen einen großen Schluck. Dann warf ich Alistair einen erbosten Blick zu. »Was zur Hölle haben Werwölfe und Schlangen in meinen Träumen zu suchen? Verdammt, das sind meine Träume! Reichen diese Visionen nicht aus? Jetzt darf ich mich mit diesen Sachen zusätzlich im Schlaf rumschlagen?!«
»Du klingst so, als hättest du mehr Angst vor Schlangen als vor Werwölfen«, witzelte mein Bruder und ging vor mir in die Knie.
Über den Rand der Tasse hinweg sah ich ihn verkniffen an. »Diese Kriechtiere gehören nicht unbedingt zu meinen favorisierten Haustieren. Skorpione, Spinnen und Käfer übrigens auch nicht.«
»Ich kenne nur wenige Frauen, die eine Affinität zu diesen Tieren haben. Von daher befindest du dich in guter Gesellschaft. Allerdings haben Träume Bedeutungen. Und es würde mich sehr interessieren, welche Bedeutung hinter deinen steckt.«
»Oftmals sind sie Botschaften aus dem Unterbewusstsein«, klang es von der Tür her, und Ernestine trat ein. »Entschuldigt bitte. Ich wollte nicht lauschen, aber ich habe eure letzten Worte mitbekommen. Wie geht es dir, Kind?«
»Ich bin so weit in Ordnung.« Ich rutschte etwas beiseite und bot ihr einen Platz neben mir an. Als sie sich setzte, ihren dunkelblauen Rock zurechtzupfte und mich dabei unverwandt ansah, seufzte ich. »Wirklich, Ernestine. Es ist alles okay.«
»Ich werde so tun, als würde ich dir glauben.« Ein aufmunterndes Tätscheln meines Oberschenkels begleitete ihre Worte. »Also, was waren das für Träume?«
»Gehört neben dem Kreisenlassen von beschwerten Kettchen und dem Legen von Patiencen auch die Traumdeutung zu deinen bevorzugten Freizeitvergnügen, liebste möglicherweise zukünftige Stiefmutter?«, säuselte Alistair mit frechem Grinsen.
Da stand sie plötzlich auf und blickte streng zu ihm hoch, wobei sie ihren Kopf tief in den Nacken legen musste, denn sie reichte ihm knapp bis zur Schulter. Ihr Zeigefinger fuchtelte vor seiner Nase, und ihre Stimme hatte einen glaubwürdigen Lehrerinnenklang: »Junger Mann, du rüttelst gerade kräftig am Ohrfeigen-bäumchen. Etwas mehr Respekt gegenüber diesen Praktiken, bitte! Du benutzt deine, ich habe meine. Das Ergebnis zählt, mit welchen Krücken man zum Ziel gelangt, ist unwesentlich.«
Völlig unbeeindruckt hob Alistair sie einfach hoch. Während sie erschreckte Laute von sich gab, wirbelte er sie einmal im Kreis herum und stellte sie dann mit einer Lausbubenmiene zurück auf die Füße. Dabei zwinkerte er mir über ihren Kopf vergnügt zu. Ich verbarg meine Erheiterung hinter der Tasse.
»Gütiger Himmel, Alistair!« Trotz ihres
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