Blut Schatten
japsend. »Taxi!«
- Kapitel Neununddreißig -
M ein Gott, es waren Kinder!
Wir hatten Letavian bis in diese gottverdammte Gegend der Bronx verfolgt. Inzwischen waren wir dem Taxi entstiegen und liefen, weil der Fahrer sich geweigert hatte, weiterzufahren. Vor wenigen Blocks hatte sich Letavians Spur verloren, und wir waren dafür auf etwas gestoßen, das mich gefühlsmäßig sehr berührte. Je weiter wir in diese unansehnliche Gegend eindrangen, desto mehr Kinder trafen wir an. Allem Anschein nach hausten sie in den baufälligen und heruntergekommenen Gebäuden, deren Scheiben eingeschlagen und Türen herausgerissen waren. An einigen Gebäuden waren noch deutliche Brandspuren zu erkennen, und zerstörte, teils ausgebrannte Autos standen vereinzelt an den Straßenrändern. Spuren längst vergangener Tage, die noch nicht vollständig von der Stadtverwaltung beseitigt worden waren.
Inzwischen war Letavian unwichtig geworden, auch wenn ersichtlich war, dass er uns hier in eine Falle locken wollte. Möglicherweise hatte er irgendwo in der Nähe auf einem Hausdach einen Logenplatz. Doch unsere Aufmerksamkeit galt nun einzig diesen verwahrlosten, weggeworfenen Kindern – wobei mir sonnenklar war, dass Darians und mein Interesse unterschiedlicher Natur war.
Vor uns versammelten sich die Kinder in einer breiten Gasse zu einer recht zügig anwachsenden Gruppe, die uns endgültig den Weg verstellte. Ich warf Darian einen fassungslosen Blick zu. Es waren so viele.
Langsam, fast zögerlich trat Darian auf die Gruppe zu. Sofort wichen einige von ihnen ängstlich zurück. Andere fletschten warnend die Zähne. Er blieb stehen und hob beschwichtigend die Hände. »Keine Angst, ich werde euch nichts tun.«
Sie schienen sich zu beraten, ließen uns dabei nicht aus den Augen und wirkten bis auf vereinzelte Ausnahmen von Darians Beteuerung wenig überzeugt. Schließlich tat sich etwas, und ein halbwüchsiger, vielleicht fünfzehnjähriger Junge schob sich durch die Menge nach vorn. Zu meiner Überraschung erkannte ich in ihm den Burschen vom Parkdeck wieder, dessen Kamerad an Darian hängen geblieben war.
Sein Erscheinungsbild hob sich kaum von dem der anderen Kinder ab. Seine Kleidung war abgetragen, verdreckt, von unbestimmter Farbe und umhüllte seine hagere Gestalt wie ein Sack. Das Haar musste von heller Farbe sein, die sich unter all dem Schmutz und Fett nur noch erahnen ließ. Er schien der Rädelsführer zu sein, denn sein Lächeln war herablassend, und mit den Händen in den Hosentaschen drehte er sich linkisch nach seinen Gefährten um, ehe er Darian von oben bis unten musterte. »Mag schon sein. Wer sagt dir, dass wir euch nichts tun?«
»Aber ihr seid noch Kinder«, rutschte es mir bestürzt heraus. »Ihr dürftet gar nicht hier sein.«
»Das vor dir sind definitiv keine Kinder, Faye«, erklang plötzlich die ruhige Stimme meines Bruders hinter mir, und ich wirbelte überrascht herum. Er lächelte mir unterkühlt zu und blickte dann über mich hinweg auf die schmuddelige Gruppe eng zusammen-gekauerter Gestalten. »Es sind kleine, blutrünstige Vampire in der Gestalt von Kindern. Das ist ein Unterschied.« Dann nickte er Darian knapp zu.
Wo kam er denn auf einmal her? Ich wusste, dass Darian während der Taxifahrt telefoniert hatte. Unter anderem mit Alistair. Doch weder hatte ich gewusst, dass er in der Nähe war, noch dass Kimberly ihn in diese unwirtliche Gegend begleiteten würde. Wollte sie sich endgültig von ihrem Trauma befreien? Es wirkte so, denn sie sah sehr entschlossen aus, sogar ein wenig zornig. Oder hatte es einen anderen Grund?
»Einen wunderschönen guten Abend«, trällerte es unerwartet hinter den Kindern, und synchron richteten sich alle Blicke auf den Sprecher. Dieser stieß sich gespielt lahm von der Hauswand ab und versah alle Anwesenden, somit auch uns, mit einem umwerfend ironisch freundlichen Vampirlächeln à la Zahnpastawerbung. »Was ist? Tut nicht so überrascht. Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass die Party hier ohne mich losgeht.«
Verblüfft wechselten wir schnelle Blicke untereinander. Lediglich Kimberly grinste irgendwie in sich hinein. Ich meinte nun zu wissen, warum sie ihren Vater begleitet hatte und dabei etwas zornig wirkte. Es war keine Frage des Wollens, sondern des Müssens.
»Ich ging davon aus, dass du nach deinem morgendlichen Zusammenstoß mit meiner Tochter weiter außer Gefecht gesetzt bist«, rief mein Bruder übellaunig aus.
Lachend winkte Steven ab.
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