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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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geworden?«
    Der Redakteur öffnete seine Wagentür; es war ein kleiner blauer Chevette mit einem Aufkleber auf der hinteren Stoßstange: FREUNDE LASSEN FREUNDE NICHT BETRUNKEN FAHREN. »Nein, sie wurde nie veröffentlicht. Wenn Reg einen Durchschlag hatte, musste er ihn vernichtet haben, nachdem ich die Geschichte bekommen und angenommen hatte – angesichts seiner paranoiden Wahnvorstellungen in Bezug auf SIE, hätte das seinem Charakter entsprochen.
    Ich hatte sein Original und drei Fotokopien bei mir, als ich in den Jackson River stürzte. Alle vier in einem Pappkarton. Wenn ich ihn in den Kofferraum gelegt hätte, hätte ich die Geschichte jetzt noch, denn das Heck meines Wagens ging nicht unter – und selbst wenn, hätte man die Seiten trocknen können. Aber ich wollte ihn in meiner Nähe haben, darum legte ich ihn vorn hin, auf die Ablage vor dem Fahrersitz. Die Fenster waren geöffnet, als ich ins Wasser fiel. Die Manuskriptblätter … ich nehme an, sie wurden einfach herausgeschwemmt und ins Meer gespült. Diese Vorstellung ist mir lieber als der Gedanke, dass sie zusammen mit all dem Unrat auf dem Grund des Flusses vermoderten, von Fischen gefressen wurden oder sonst etwas Unappetitliches mit ihnen geschah. Zu glauben, dass sie ins Meer gespült wurden, ist romantisch und etwas unwahrscheinlicher, aber wenn ich mir aussuche, was ich glauben will, kann ich immer noch flexibel sein.«
    »Sozusagen.«
    Der Redakteur stieg in sein kleines Auto und fuhr davon. Der Schriftsteller stand da und sah ihm nach, bis die Rücklichter nicht mehr zu sehen waren, dann drehte er sich um. Meg stand da, auf dem Gartenweg im Dunkeln, und lächelte ihm zaghaft zu. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, obwohl es ein warmer Abend war.
    »Wir sind die Letzten«, sagte sie. »Sollen wir nicht lieber reingehen?«
    »Klar.«
    Auf halbem Wege blieb sie stehen und sagte: »In deiner Schreibmaschine leben aber keine Fornits, oder, Paul?«
    Und der Schriftsteller, der sich manchmal – oft – gefragt hatte, woher die Worte kamen, sagte tapfer: »Auf keinen Fall.«
    Sie gingen Arm in Arm ins Haus und sperrten die Nacht vor die Tür.

Die Meerenge
    »Die Meerenge war damals breiter«, erzählte Stella Flanders ihren Urenkeln im letzten Sommer ihres Lebens, dem Sommer, bevor sie Gespenster zu sehen begann. Die Kinder schauten sie mit großen fragenden Augen an, und ihr Sohn Alden drehte sich auf seinem Stuhl auf der Veranda, wo er schnitzte, nach ihm um. Es war Sonntag, und sonntags fuhr Alden nie mit dem Boot hinaus, ganz egal, wie hoch der Hummerpreis auch sein mochte.
    »Was meinst du damit, Oma?«, fragte Tommy, aber die alte Frau gab keine Antwort. Sie saß nur in ihrem Schaukelstuhl neben dem kalten Ofen, ihre Pantoffeln streiften leise über den Fußboden.
    Tommy fragte seine Mutter: »Was meint sie damit?«
    Lois schüttelte nur den Kopf, lächelte und schickte die Kinder mit Milchkannen zum Beerenpflücken.
    Stella dachte: Sie hat es vergessen. Oder hat sie es nie gewusst?
    Die Meerenge war früher breiter gewesen. Wenn jemand das wissen konnte, dann Stella Flanders. Sie war 1884 geboren, sie war die ältesten Bewohnerin von Goat Island, und sie war in ihrem ganzen Leben nie auf dem Festland gewesen.
     
    Liebst du? Diese Frage quälte sie jetzt oft, und sie wusste nicht einmal, was es bedeutete.
     
    Der Herbst kam, ein kalter Herbst ohne den notwendigen Regen, der den Bäumen erst ihre herrlichen Farben schenkte, weder auf Goat noch auf Raccoon Head jenseits der Meerenge. Der Wind blies in jenem Herbst lange, kalte Töne, und Stella spürte, wie jeder dieser Töne in ihrem Herzen widerhallte.
    Am 19. November, als der erste Schnee von einem Himmel fiel, der die Farbe weißen Chroms hatte, feierte Stella ihren Geburtstag. Die meisten Dorfbewohner kamen zum Gratulieren. Hattie Stoddard kam, deren Mutter 1954 an einer Brustfellentzündung gestorben und deren Vater 1941 mit dem »Dancer« untergegangen war. Es kamen Richard und Mary Dodge, Richard, auf seinen Stock gestützt, bewegte sich langsam den Pfad hinauf, seine Arthritis folgte ihm wie ein unsichtbarer Begleiter. Natürlich kam auch Sarah Havelock; Sarahs Mutter Annabelle war Stellas beste Freundin gewesen. Sie hatten gemeinsam die Inselschule besucht, von der ersten bis zur achten Klasse, und Annabelle hatte Tommy Frane geheiratet, der sie in der fünften Klasse an den Haaren gezogen und zum Weinen gebracht hatte, ebenso wie Stella Bill Flanders geheiratet

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