Blut - Skeleton Crew
Wenn sie mich behindert, schneide ich sie ab.«
»Sind wir so weit?«, fragte Norton zu laut. Der pausbäckige Junge zuckte zusammen, als wäre er erschreckt worden. Als er keine Antwort erhielt, wandte Norton sich zum Gehen.
»Brent«, sagte ich und streckte ihm die Hand hin. »Viel Glück, Mann.«
Er betrachtete meine Hand, als wäre sie ein dubioser Fremdkörper. »Wir schicken Hilfe«, sagte er schließlich und drückte die Ausgangstür auf. Wieder strömte dieser schwache, beißende Geruch herein. Die anderen folgten ihm hinaus.
Mike Hatlen kam her und stellte sich neben mich. Nortons Fünfergruppe stand im milchigen, langsam wallenden Nebel. Norton sagte etwas, und eigentlich hätte ich es hören müssen, aber der Nebel schien eine seltsam dämpfende Wirkung zu haben. Ich hörte nichts außer den Klang seiner Stimme und zwei oder drei abgerissene Silben, wie eine Stimme im Radio aus einiger Entfernung. Sie entfernten sich.
Hatlen hielt die Tür einen Spalt auf. Ich rollte die Wäscheleine ab und bemühte mich, sie so locker wie möglich zu halten, weil ich mich an die Warnung des Mannes erinnerte, er würde sie abschneiden, wenn sie ihn behinderte. Immer noch war kein Laut zu hören. Billy stand regungslos neben mir, schien aber vor innerer Energie zu summen.
Wieder hatte ich dieses unheimliche Gefühl, dass die fünf weniger im Nebel verschwanden als vielmehr unsichtbar wurden. Einen Augenblick schienen ihre Kleidungsstücke allein dazustehen, dann waren auch sie nicht mehr zu sehen. Erst wenn man beobachtete, wie Menschen innerhalb von Sekunden verschluckt wurden, bekam man einen Eindruck von der unnatürlichen Dichte dieses Nebels.
Ich wickelte die Leine ab – ein Viertel verschwand, dann die Hälfte. Einen Augenblick bewegte sie sich nicht weiter. Verwandelte sich in meinen Händen von etwas Lebendigem zu etwas Totem. Ich hielt den Atem an. Dann glitt sie wieder durch meine Finger. Mir fiel plötzlich ein, wie mein Vater mich in den Film Moby Dick mit Gregory Peck im Brookside mitgenommen hatte. Ich glaube, ich lächelte ein wenig.
Drei Viertel der Leine waren abgespult. Ich konnte das Ende neben Billys Füßen liegen sehen. Dann bewegte sie sich wieder nicht durch meine Hand. Etwa fünf Sekunden blieb sie reglos, dann wurden weitere eineinhalb Meter ausgezogen. Dann zuckte sie heftig nach links und schlug gegen die Türkante.
Sechs Meter Leine wurden so rasch nach draußen gerissen, dass meine linke Handfläche brannte. Und aus dem Nebel kam ein hoher, schwankender Schrei. Es war unmöglich, das Geschlecht des Schreienden zu identifizieren.
Die Leine zuckte wieder in meinen Händen. Und wieder. Sie bewegte sich im Türspalt nach rechts, dann nach links. Wieder wurden ein paar Meter herausgezogen, und dann ertönte von draußen ein fürchterliches Heulen, das meinem Sohn ein Stöhnen entlockte. Hatlen stand fassungslos da. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ein Mundwinkel war nach unten gezogen und zitterte.
Das Heulen riss abrupt ab. Eine Ewigkeit lang war kein Laut zu hören. Dann schrie die alte Frau auf – diesmal gab es keinen Zweifel daran, wer es war. »Nehmt es weg!«, kreischte sie. »O mein Gott, mein Gott, nehmt es …«
Dann brach auch ihre Stimme ab.
Fast die ganze restliche Leine sauste abrupt durch meine lockere Faust, was noch stärker brannte. Dann wurde sie völlig schlaff, und aus dem Nebel kam ein neuer Laut – ein lautes Grunzen –, bei dem mein Mund trocken wurde.
Es war ein Laut, wie ich ihn noch nie gehört hatte, und als annähernder Vergleich fallen mir höchstens Filme ein, die im afrikanischen Grasland oder im südamerikanischen Sumpf spielen. Es war ein Laut, wie große Tiere ihn ausstoßen. Er ertönte wieder, tief und reißend und wild. Und noch einmal … und dann ging er in eine Art tiefes Brummen über. Und dann trat wieder Stille ein.
»Schließen Sie die Tür«, sagte Amanda Dumfries mit zitternder Stimme. »Bitte!«
»Augenblick noch«, sagte ich und begann die Leine hereinzuziehen.
Sie kam aus dem Nebel und bildete unordentliche Schlingen zu meinen Füßen. Der letzte Meter der neuen weißen Wäscheleine war blutrot.
»Tod!«, kreischte Mrs. Carmody. »Dort draußen lauert der Tod! Seht ihr es jetzt?«
Das Ende der Wäscheleine war ein zerbissenes, zerfleddertes Wirrwarr von Fasern und baumwollähnlichen Bäuschchen. An den Bäuschchen klebten winzige Blutstropfen.
Niemand widersprach Mrs. Carmody.
Mike Hatlen ließ die Tür
Weitere Kostenlose Bücher