Blut und Harz
Fleisch und die Kaumuskeln an seinem Kiefer mahlten hin und her. Blutige Kratzer zogen sich darüber hinweg. Doch das Erschreckendste waren seine Augen. Aus ihnen schien ein blutrünstiger Dämon heraus zu starren, ein wild gewordener Gott, der sich mit letzter Kraft noch beherrschte, um nicht Amok zu laufen.
»Was ist passiert?« flüsterte Erik.
»Sie sind entkommen.« Die Worte kamen heiser und leise, doch selbst mit ihnen schwang fühlbarer Zorn mit. Alexander blieb vor Erik stehen und musterte ihn prüfend von Kopf bis Fuß. »Wir müssen los und Natalja retten. Hast du den Wagenschlüssel?«
Erik klopfte auf seine Hosentasche und spürte den vertrauten Schlüssel mit Lederetui darin. Er nickte.
»Gut. Gehen wir!«
Alexander trat zwei Schritte auf den abgedeckten Mercedes zu, der von dem Ast zum Glück nichts abbekommen hatte, dann blieb er stehen. »Wer ist das?«
Erik folgte seinem Blick und nahm wieder die beiden Männer war, die seit Alexanders Ankunft geschwiegen hatte. »Sie haben mich gerettet und den Ast herunter gehoben.« Dann fiel seine Aufmerksamkeit auf die Gesichter des Paares, die Alexander mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Sie fixierten seine waffengespickte Ausrüstung, die ihm um die Brust geschnallt war.
Noch während sich der Gedanke in Eriks Gehirn manifestierte, zückte Alexander bereits seine beiden Pistolen. Mit einer Bewegung, die Jahre lang trainiert sein musste, richtete er die Schalldämpfer auf die beiden Männer.
Ein ersticktes Keuchen drang synchron über ihre Lippen.
Erik reagierte augenblicklich. Mit einem schnellen Schritt schob er sich zwischen die Läufe der Waffen und seine beiden Retter.
»Sie haben mich gerettet!« zischte er Alexander entgegen. »Es sind schon genug Unschuldige zu Schaden gekommen. Lass sie gehen!«
Alexanders Pupillen musterten ihn eine Sekunde lang durchdringend. Erik schluckte schwer. Dieser Alexander hatte überhaupt nichts mehr mit dem Bruder von Natalja zu tun. Dieser Mann war in diesem Moment eine Bestie. Er sah den Dämon hinter den Augen mit sich selbst ringen und das Gefühl, zwei Pistolen auf seinen Körper gerichtet zu sehen, war erschreckend. Das Zucken eines Fingers reichte aus und alles wäre vorbei.
Doch Alexanders Finger zuckten nicht.
Stattdessen steckte er die Waffen zurück in den Holster. Mit entschiedenen Schritten stampfte er kommentarlos an Erik vorbei und baute sich drohend vor den beiden Männern auf. Diese tippelten ein wenig nach hinten, doch ihre Augen hingen gebannt an dem hünenhaften Russen.
»Ihr habt uns hier nie gesehen. Verstanden?«
Erik vernahm die Worte nur als geknurrte Drohung, doch die Reaktion ließ keinen Zweifel bestehen, dass man den Raben verstanden hatte: Beide nickten hastig und sahen dabei für einen Moment mit ihren Trainingsanzügen wie groteske Comicfiguren aus, dann suchten sie ihr Heil in der Flucht, als Alexander sie mit einem angedeutetem Nicken dazu aufforderte.
»Danke!« rief Erik ihnen in die Dunkelheit hinterher, doch sie waren bereits zwischen Wohnwägen, Vorzelten und gepflanzten Hecken verschwunden.
Er seufzte. Gerne hätte er sich richtig bei ihnen bedankt. Sie wollten nur helfen und Gutes tun und stattdessen richtete man Pistolen auf sie.
Das samtene Rascheln von Satin knisterte in der Luft und ließ ihn sich zum Wagen herumdrehen, wo Alexander bereits die Hälfte der Abdeckung heruntergerissen hatte. Erst jetzt erkannte Erik, dass der Rabe alles andere als gut aussah. Überall hingen Tannennadeln in seinen Klamotten. Er blutete aus mehreren Kratzwunden im Gesicht und seine Hände hinterließen rot glänzende Flecken auf dem Satin. Zu große Flecken für Eriks Geschmack.
»Du brauchst einen Arzt«, stellte er nüchtern fest. »In unserer Verfassung schaffen wir es nie, Natalja zu retten.«
Die silbrige Stoffabdeckung glitt achtlos neben dem Wagen ins nasse Gras.
»Unmöglich. Viel zu gefährlich«, erwiderte Alexander.
»Ist es nicht!« Erik fischte den Schlüssel aus der Tasche und trat an die Fahrertür. Schwindel überkam ihn plötzlich. Die Welt drohte zur Seite zu kippen. Mit beiden Händen stützte er sich ächzend auf der A-Säule ab und schloss kurz die Augen. »Ich glaube, du wirst fahren müssen.«
»Und wohin bitte?«
Erik hob den Kopf und sah über das Dach hinweg. Mit bebenden Händen reichte er Alexander das Lederetui in die glitschigen Finger. Blut träufelte dabei auf das Blech des Wagens.
»Ein alter Freund ist Allgemeinmediziner«, sagte er
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