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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Knorrige Wurzeln, abgewittert und spröde, säumten seinen Weg. Die Schatten wurden ebenfalls drückender, dazu schluckten tausend Jahre reichhaltige Erde seine Schritte.
    Wie ein Geist wandelte er immer weiter, den Mund vor Staunen weit offen.
    Ich gehöre nicht hierher, stellte er nach endlosen Minuten fröstelnd fest. Niemand gehört hierher. Dieser Wald war ein Ort, an dem Menschen nichts verloren hatten. Sie waren falsch, zu kurzlebig. Sie zerfielen wieder zu Staub, bevor nur einer dieser Bäume einen seiner langen, langsamen Gedanken denken konnte. Er befand sich an einer heiligen Stätte. Er spürte es.
    Ich sollte hier nicht sein, dachte Elias noch einmal und trotzdem lief er weiter, passierte fahle Rinde und raschelndes Laub.
    Er hätte nicht sagen können, wie lange er so dahintrottete, und er atmete schwer, als er kopfschüttelnd irgendwann stehen blieb. Ihm war kalt und er schlang seine Arme um seinen Körper.
    »Was soll ich hier?« rief er laut. Seine Stimme verhallte trostlos zwischen den krummen Ästen.
    Die Augen öffnen , ertönte es zur Antwort in seinem Kopf.
    Elias seufzte. Man sprach also wieder mit ihm.
    »Ich habe sie offen, aber ich sehe nichts als Wald und Bäume!« entgegnete er bitter.
    Stille senkte sich um ihn herum.
    Elias blinzelte.
    Konnte das sein, fragte er sich zweifelnd. Nein. Trotzdem fragte er: »Bist du der Wald?« Seine Stimme zitterte leicht. Schon der bloße Gedanke war absurd. Etwas drängte ihn aber, weiterzusprechen: »Du hast mich vor dem Etwas bewahrt. Du hast es nicht zu mir hindurch gelassen und es abgehalten, mich zu töten. Ja, so war es. Du hast mir das Leben gerettet! Habe ich Recht?«
    Nur Stille antwortete auf seine Fragen.
    Verärgert fuhr sich Elias durchs Haar. »Warum hast du das getan? Warum einen Menschen retten? Warum mich? Du hättest mich auch einfach ins Maisfeld stürzen lassen können.«
    Stille.
    Elias verzog verbittert den Mund und schüttelte den Kopf. »Für was der ganze Terz? Erst führst du mich kilometerweit hierher und dann antwortest du nicht mehr. Was soll das?«
    Ein erneuter Windstoß ließ die Blätter um ihn herum wie tote Haut rascheln. Es hörte sich wie ein schmerzliches Seufzen an.
    Ungeduld ist euer eigen Gift, sagte die Stimme mit einem Hauch von Resignation. Vielleicht bildete sich Elias den Unterton auch nur ein. Einer Stimme, die ausschließlich in seinem Kopf ertönte, konnte er schwer eine menschliche Gefühlsregung zuordnen. Doch noch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr die Stimme fort: Aber du sprichst wahr. Das Leben ist dein, unser ist dein Dienst.
    Verwirrt neigte Elias den Kopf zur Seite. Er hatte den Eindruck, dass es mit einem Mal noch dunkler geworden war. Das Licht hatte jetzt den Zustand der Abenddämmerung erreicht, wo alle Farben grau in grau verliefen, marmoriert mit Dunkelheit. Gleichzeitig stimmten ihn die Worte nachdenklich.
    Redete er wirklich mit den Bäumen, fragte er sich. Die Stimme sprach von unser !
    »Ihr habt mir also das Leben gerettet«, sagte er »und dafür wollt ihr meinen Dienst. Wie kann ich euch helfen?«
    Akzeptiere die Wahrheit!
    Die Worte donnerten so heftig in seinem Kopf, dass Elias schmerzhaft zurücktaumelte und sich die Hände an die Ohren presste. Doch es nützte nichts. Die Stimme dröhnte weiter.
    Akzeptiere die Wahrheit!
    Akzeptiere die Wahrheit!
    AKZEPTIERE. DIE. WAHRHEIT.
    »Welche Wahrheit?« brüllte Elias, während er geduckt zurückwich. Sein Trommelfell drohte zu explodieren, so heftig fühlte sich die Stimme an. Unerwartet berührte ihn plötzlich aufgesprungene Borke in seinem Nacken.
    Akzeptiere die Wahrheit, wisperte die Stimme nun, dann erstarb sie. Gleichzeitig griff etwas in seinem Kopf nach seinem Gehirn. Wie eine mörderische Klaue bohrte sich etwas in seinen weichen Verstand.
    Elias drohten die Beine einzuknicken, dennoch blieb er mit dem Rücken an dem Stamm lehnen. Er wollte schreien, doch es ging nicht. Er konnte nicht anders. Etwas zwang ihn, stumm stehen zu bleiben.
    Noch bevor er genau wusste, was mit seinem Geist geschah, veränderte sich abrupt seine Wahrnehmung. Etwas war bei ihm, durchzuckte ihn und gleichzeitig strömten Bilder einer flirrenden Bildercollage gleich durch seinen Kopf.
    Er sah eine dunkelblaue, schäumende Welle, turmhoch und wogend, wie sie dahinraste. Dörfer, die unter dem brodelnden Nass verschwanden. Kreischende Menschen. Ertrinkende. Gischt und Schaum. Exodus. Laternenmasten knickten, gefolgt von Funkenregen mit lautem Zischen.

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