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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Dahinter pechschwarze Wolkenburgen am Firmament, drohend und unheilvoll, flatternde Fahnen, berstende Fensterfronten. Wolkenkratzer. Einer nach dem anderen. Sie standen wie Orgelpfeifen nebeneinander. Taumelnde Kristalle davor. Fallendes Weiß, mannshohe Schneeverwehungen und trübe Landschaften, eingepudert in Zuckerwatte.
    Die Bilder wechselten nun immer schneller. Elias Welt drehte sich von den Bildwechseln, doch er konnte sich dem Film in seinem Kopf nicht entziehen.
    Er gewahrte düstere Wälder, hämmernde Maschinengeräusche, rollendes Gelb mit Nieten, braun verklumpte Ketten, dazwischen dampfender Qualm. Blutende Tiere mit tellergroßen Augen. Splitterndes Holz, Baumstümpfe, Ödnis und er roch den Gestank verbrannten Holzes, Öles und giftiger Abwässer. Ein Meer aus Bäumen stand daraufhin in Flammen, orange und leuchtend, darüber hing dicker, zäher, beißender Rauch. Wortfetzen drangen zu ihm hindurch, Schreie, Befehle. Das Flattern von Rotoren. Kettensägen. Ein keckerndes Lachen. Eisenträger, Stahl und Stein. Das monotone Hämmern einer Axt. Glitzernder Beton, überall und göttlich.
    Elias schluckte schwer, doch die Sinneseindrücke brandeten gnadenlos über ihn hinweg.
    Weiße Linien auf Grau - das Bild verkleinerte sich - Straßenmarkierungen, Autobahnen, dröhnender Lärm vorbeidonnernder Klötze auf Rädern. Gummiartiger Abrieb, schleimig und ätzend.
    Erneut huschten die Eindrücke vor seinen Augen dahin. Elias sah, wie sich ein Geflecht aus grauem Schimmel über die Landschaft zog. Es brachte den Tod. Pure Vernichtung. Immer höher, schneller, weiter. Das Gewächs wurde deutlicher: ein Gerippe aus farblosem Beton, Zement und rötlichem Stahl mit dampfenden Lacken überzogen. Allgegenwärtig. Es wucherte immer weiter und begrub alles unter sich.
    Die Hölle im grauen Gewand.
    Ein markdurchdringender Schrei löste sich in diesem Moment aus Elias Kehle und verwirrte sich im dunklen Wald, bevor er erstarb.
    Der Baum gab Elias frei.
    Kraftlos brach er zusammen.

Kapitel 21
    Die Einsamkeit des Waldes war beängstigend und wohltuend zugleich.
    Hier, zwischen endlosen Weiten von Bäumen, konnte Reimund alles vergessen: die Arbeit, den Stress und sogar seine eigene Vergangenheit. Er hatte die Schwelle bereits überschritten, war tief genug hineingedrungen in die Urweltlichkeit, fernab von Straßen, Zivilisten und Wolkenkratzern. Erst hier erlebte man noch die natürliche Ruhe, die zwar in den ersten Momenten fremdartig erschien, fast beklemmend, aber einen nach einigen Stunden vollkommen ausfüllte. Reimund spürte jedes Mal, wie sein Puls dann merklich ruhiger wurde, sich seine Gedanken glätteten.
    Alles andere blieb zurück. Er war nur noch er selbst, umgeben von archaischer Natur.
    Der Pfad führte ihn an plätschernden Bächen entlang, vorbei an gluckernden Wasserterrassen und Wasserfällen. Hin und wieder klaffte eine Lücke im Blätterdach, der Weg passierte dann steinige Berge und leuchtende Wiesen.
    Endlich bin ich wieder hier, dachte er, während er den Pfad entlang schlenderte. Wie lange war sein letzter Besuch her? Ein Jahr und zwei Monate? Viel zu lange, entschied Reimund. Er liebte diese heiligen Wanderurlaube im Monongahela National Forest im Osten von West Virginia. Für seinen Geschmack waren die drei Wochen Urlaub im Jahr aber viel zu wenig.
    Das Plätschern eines Flusses erhob sich murmelnd zu seiner Linken, durchdrang leise die massigen Baumstämme. Reimund blieb stehen und warf einen kurzen Blick auf seine Wanderkarte. Mit dem Finger fuhr er seine Marschroute ab. Bei einer dünnen, blau geschlängelten Linie kam er zum Stillstand. Daneben war aufgedruckt: Williams River .
    Eine Pause am Fluss also, beschloss er für sich. Ohne Eile verließ er den Wanderweg und durchbrach das dichte Unterholz.
    Nach einigen Schritten lichtete sich der Bewuchs und eine traumhafte Kulisse tat sich vor ihm auf: Das kiesige Ufer des Flusses lag zu seinen Füßen, dahinter trieb gemächlich das dunkelgrüne Wasser dahin. Einzelne, im Laufe der Jahrtausende glattgeschliffene Steine ragten aus der Wasseroberfläche heraus und wurden schäumend umspült. Direkt hinter dem breiten Flussbett streckten sich saftige Bäume in die Höhe, der Sonne entgegen.
    Als Reimund sich vom Wasser abwandte, war der Mönch neben ihm am Ufer.
    »Du scheinst ruhelos zu sein, mein Sohn«, sagte dieser auf Englisch zu ihm. Seine Stimme klang warm und freundlich.
    Reimund zuckte überrascht zusammen.
    »Wer sind Sie?« fragte er

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