Blut und Harz
und musterte den Mönch, der wie aus dem Nichts aus dem Dickicht erschienen war, eingehüllt in eine dunkelgrüne Tunika, die ihm flatternd um die Glieder schlackerte. Er wirkte so unglaublich hager, zerbrechlich, besaß eisengraues Haar und hohle Wangen.
»Nur ein alter Mann, mein Sohn, und doch spreche ich die Wahrheit. Du fliehst vor dir selbst.«
»Ein Prophet also«, murrte Reimund sauertöpfisch. »Trage ich vielleicht ein Schild Psychodoktor gesucht auf der Stirn? Und nennen Sie mich nicht Sohn.« Argwöhnisch musterte Reimund den Alten. Er hasste es, wenn man sich heimlich an ihn heranschlich und von Gläubigen hielt er sowieso nichts. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gab es Sekten und Glaubensgemeinschaften wie Fensterscheiben in New York. Jeder konnte seinen eigenen Glauben gründen und sich als spiritueller Guru outen. In fast allen Fällen steckte keine göttliche Überzeugung dahinter, sondern die Möglichkeit Profit zu verdienen. Jeden Tag stand ein Dummer auf. Die Kunst bestand nur darin, ihn täglich zu finden.
Der Greis schloss seufzend zu ihm auf und gesellte sich mit an den Rand des Wassers.
»Du trägst die Last deiner grausamen Vergangenheit auf den Schultern«, sagte er schmerzerfüllt. »Ich sehe die Bitterkeit in deinen Augen.«
Reimund zuckte von den Worten überrascht herum, starrte den Alten ungläubig an. »Woher … «
Der Mönch schnitt ihm das Wort ab. »Und ich sehe noch etwas anderes darin. Etwas viel Wichtigeres.« Eine Pause entstand, in der er andächtig den Kopf zu ihm drehte. Seine walnussbraunen Augen glitzerten wissend. »Du bist einer von uns.«
Das war vor etwas mehr als vier Jahren gewesen und mit diesem Satz hatte sich Reimunds Leben verändert.
Lange waren sie zusammen noch dort am Wasserrand gestanden und hatten geredet. Danach hatte Reimund die Wahrheit gewusst und, was viel wichtiger für ihn selbst war, geglaubt.
Er war direkt nach Hause gereist, hatte seine Arbeit fristlos gekündigt, seine wenigen Habseligkeiten, die ihm etwas bedeuteten, gepackt, seine Konten leer geräumt und war drei Tage später zurück nach Deutschland geflogen. Dort war er dem Kloster beigetreten, einem von dreizehn Abteien, die sich über die ganze Welt verstreuten.
»Nicht träumen«, sagte der Polizeibeamte mit einem müden Lächeln auf den Lippen, der ihm durch die Glasscheibe seinen Personalausweis entgegen reichte.
Reimund fuhr hoch. Er war mit seinen Gedanken vollkommen abgedriftet. Nickend nahm er das dünne Plastik entgegen und passierte die Schranke. Er lief auf kürzestem Weg durch die Gepäckausgabe und betrat einen Augenblick später die Ankunftshalle des Flughafens.
Dort wirkten alle Gesichter blass und grimmig.
Egal in welche Richtung Reimund blickte, er sah Menschen, deren Gesichtszüge überschattet waren von – ja, von was überhaupt?
Eine Frau in beiger Stoffhose und dunkelbraunem Mantel hastete knapp an ihm vorbei, zog rumpelnd einen abgewetzten Trolley hinter sich her. Die kleinen Rollen klickten auf den Fliesen in schnellem Takt wie ein zu schneller Puls. Trotz einer dicken Schicht aus matter Schminke, schimmerten tiefe Augenringe hindurch. Sie presste sich ein Handy ans Ohr, in das sie wie ein Maschinengewehr hineinplapperte. Reimund verstand zwar die Worte nicht, doch die Botschaft war eindeutig: Sie war angepisst.
Reimund wich der Frau aus, um nicht mit ihrem Koffer zu kollidieren, und mischte sich in den Pulk an Besuchern und Fluggästen, die alle dem Exit entgegen strebten. Mit zügigen Schritten durchquerte auch er die hell erleuchtete Ankunftshalle.
Ohne Vorwarnung blieb der Mann, der keine drei Armlängen vor ihm ging, einfach stehen.
Reimunds Reaktion kam zu spät.
Aus vollem Lauf rumpelte er in die schwarze Filzjacke hinein und riss ihren Träger beinahe zu Boden.
»Ja Scheiße!« brüllte der Mann mit überschnappender Stimme, als er sich wieder aufrappelte. Seine Laptoptasche war ihm von der Schulter gerutscht und hing wirr um den Ellbogen. In der anderen Hand hielt er eine dampfende Leberkässemmel, die vor Fett glänzte.
»Können Sie nicht aufpassen, Sie Idiot!«
»Ich?«
Reimund starrte entgeistert in das Gesicht, das jeder Tomate Konkurrenz machen konnte. Die Bäckchen waren dunkelrot angelaufen, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, verschmiert mit Ketchup und das Doppelkinn wogte vor Aufregung. »Sie sind einfach stehen geblieben. Soll ich das schmecken?«
Der Mann öffnete wie ein Karpfen den Mund, doch er
Weitere Kostenlose Bücher