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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Das Verteidigungsministerium schickte vor wenigen Minuten mehrere Militärflugzeuge in die Luft. Sie sollen einen Überblick über die Lage verschaffen, was aber angesichts der Dunkelheit schier unmöglich erscheint.
    Zwei riesige Wellen haben nach ersten Augenzeugenberichten die Küste bereits getroffen und ganze Ortschaften weggeschwemmt. Am schlimmsten ist die Costa del Sol betroffen, der Süden Spaniens. Gerade die dicht besiedelten Küstenregionen und Touristenhochbugen sind offenbar vollständig vernichtet worden. Im Moment sieht es ausgesprochen dramatisch aus, aber das wahre Ausmaß wird wohl erst in den frühen Morgenstunden ersichtlich, wenn wir Bilder aus den Krisengebieten erhalten. Was in angrenzenden Nachbarstaaten los ist, wissen wir auch noch nicht.«
    Das monotone Knacken des Blinkers mischte sich zu den Nachrichten.
    »Manchmal frage ich mich, ob sich nicht die Natur an uns rächt«, sagte der Fahrer beim Abbiegen.
    Reimund antwortete nichts.
    »Haben Sie nicht auch momentan diesen Eindruck?« Für einen flüchtigen Moment sah der Lockenkopf fragend zu ihm herüber. Seine Gesichtszüge lagen im Halbschatten, rötlich beschienen von den Armaturenbeleuchtungen. Er sah aus wie ein verrückter Hippie, der die Apokalypse prophezeite. »Tornados in Berlin, Tsunamis im Mittelmeer und Schneefälle in England wie sonst nur in den Alpen. Alles spielt verrückt und wir sorgen uns bereits um Lebkuchen, Weihnachtsgeschenke und die Adventszeit. Sind ja nur noch elf Wochen bis Heilig Abend. Erst heute habe ich eine Dame durch die Stadt kutschiert, die sich bereits ernsthaft um einen Adventskalender für ihren Enkel gesorgt hatte.« Er schüttelte den Kopf, dass die Haare nur so flogen.
    Reimund hingegen blieb stumm. Schweigend starrte er hinaus in die Dunkelheit. Da von ihm offensichtlich keine Antwort mehr zu erwarten war, drehte der Taxifahrer das Radio einen Tick lauter und konzentrierte sich wieder auf die vorbeihuschenden Straßenstickel.
    Der Rest der Fahrt verlief schweigend, nur durchdrungen von den unaufhörlichen Schreckensmeldungen aus Spanien.
    Nach einer schier endlosen Zeit erschienen endlich die bläulichen Reklameschilder der Tankstelle im dünner gewordenen Nebel.
    Der Wagen rollte auf den fast verlassenen Parkplatz und blieb mit laufendem Motor stehen. »Zwölf Achtzig macht´s, bitte.«
    Reimund drückte dem Fahrer das Geld in die Hand und stieg aus. Als er gerade die Tür hinter sich ins Schloss schmeißen wollte, hielt er nochmals Inne.
    »Sie tut es«, sagte er ausdruckslos.
    Dann schnappte die Wagentür mit lautem Krachen ein. Ohne sich noch einmal herumzudrehen machte sich Reimund auf dem Weg zur Rückseite der Tankstelle und von dort aus in den beruhigenden Wald. Nur heute würde ihn dort nicht die innere Ruhe überkommen wie sonst.
    Nach einem kurzen Fußweg über einen fast unsichtbaren Trampelpfad durch die Düsternis erhob sich endlich das Klostergebäude vor ihm zischen den Baumstämmen.
    Reimund beschleunigte seine Schritte, überquerte die Holzbrücke und betrat seufzend den Innenhof.
    Endlich bin ich wieder daheim, dachte er zufrieden.
    Als Reimund sich dem Eingangsportal näherte, huschten grelle Lichter über die Klostermauern.
    Ein Wagen, wurde es ihm bewusst. Es konnte nur Bruder Johannes sein. Hoffentlich hatte er alles regeln können.
    Erwartungsvoll drehte sich Reimund zum offenen Tor um, genau in dem Moment, als der alte Passat in den Hof rumpelte und holpernd stehen blieb. Die Lampen erloschen bis auf das Standlicht. Die hagere Gestalt seines Stellvertreters stieg aus, doch statt sich auf Reimund zuzubewegen, umrundete er hastig das Auto und öffnete den Kofferraum.
    Reimunds Herz begann heftig zu pochen, als er die junge Frau sah. Sie stemmte sich windend gegen Johannes, doch sie hatte keine Chance. Mit roher Gewalt wurde sie aus dem Kofferraum gezerrt.
    Reimunds Knie wurden weich.
    Das letzte Mal, als er sie vor dreiunddreißig Jahren gesehen hatte, war sie tot gewesen und vor seinen Augen im trüben Wasser versunken. Was sich aber im Schlepptau seines Klosterbruders befand, lebte und atmete. Es konnte nur ein Geist sein.
    ***
    »Ich hätte sie beide töten sollen«, murrte Alexander, während er den Wagen durch die Nacht steuerte.
    »Wieder zwei Unschuldige begraben, nur weil sie mir zu Hilfe kamen und mich retteten?« fragte Erik empört. Er rutschte im Beifahrersessel in eine aufrechtere Position und wischte sich das Blut aus den Augenbrauen. Die Platzwunde an seiner

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