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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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hier zu sehen. Es konnte sich nur um diesen Reimund Schell handeln, von dem Alexander und Erik gesprochen hatten, dachte Natalja. Dies war also der Auftraggeber, der sie alle tot sehen wollte. Dieser Mann war also für all das Leid verantwortlich: für Elias Koma, für den Angriff auf den Wohnwagen, für ihre Entführung. Natalja war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass der abgebrochene Ast kein Unfall sondern Absicht gewesen war.
    Sie schluckte schwer, während nackte Panik mit eisigen Klauen nach ihrem Herzen griff.
    Zwei Meter vor Bruder Raphael kamen sie zum Stehen. Dieser fragte: »Johannes! Wer zum Teufel ist das?« Seine Stimme zitterte.
    »Dieses zuckersüße Mädchen hier, was den ganzen Herweg versucht hat, mir in die Eier zu treten«, ihr Entführer schnaubte verächtlich, »ist die Freundin von Elias Ritter.«
    Raphael musterte sie durchdringen. Sein Gesichtsausdruck änderte sich von entsetzter Überraschung zu grimmigem Zorn. In der Düsternis des Innenhofes wirkte er nun wie ein gefräßiges Monster. Natalja schien sein nächster Happen zu sein.
    »Und was zur Hölle tut sie hier?« fragte er mit unterdrückter Wut. »Hast du den Verstand verloren?«
    »Urteile nicht vorschnell!« bellte Johannes verärgert zurück. Er gab Natalja einen derben Stoß in den Rücken, was sie unerwartet nach vorne taumeln ließ, direkt auf Reimund zu. »Schau sie dir ganz genau an, verehrter Abt !«
    Raphael funkelte seinen Ordensbruder streitsüchtig an, fing Natalja aber wie eine Puppe auf, zog sie nah zu sich heran und warf seinen vernichtenden Blick auf sie.
    Natalja entgegnete den dunklen Augen mit klopfendem Herzen. Das war also nun endgültig ihr Tod. Er wollte alle Mitwisser unter der Erde sehen, also würde er sie nun umbringen. Der Name passte ebenfalls, schoss es ihr ironisch durch den Kopf. Er verkörperte also wahrlich den Erzengel Raphael, oder Azrael, wie er in der islamischen Tradition genannt wurde, der ihren Namen aus dem Buch des Lebens streichen würde. Sie konnte sogar seinen Atem riechen. Überrascht stellte sie aber fest, dass er angenehm nach Pfefferminze roch. Sie hatte den fauligen, süßlichen Gestank eines Leichenfledderers erwartet.
    Bruder Raphael verengte kritisch die Augen zu schmalen Schlitzen, nur um sie schlagartig weit aufzureißen. Sein Mund klappte auf.
    »Das … das kann doch nicht sein«, stammelte er.
    »Dann habe ich mich also nicht getäuscht«, hauchte Johannes hinter ihr erleichtert. »Ich dachte schon mein Verstand hat mich verlassen.«
    »Nein, Johannes. Du bist noch bei Sinnen. Verzeih mir.«
    Raphael zog Natalja noch näher zu sich heran, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Sein Atem war warm und dampfte wie der Brodem eines Drachen zwischen ihren Gesichtern. Natalja erschauerte unter seinem Anblick.
    »Sie trägt es ohne Zweifel in sich«, flüsterte er.
    »Ein grünes Herz!«
    ***
    Erik machte einen zögerlichen Schritt auf Ruppert zu, doch dieser wich genauso weit zurück in den Hausflur.
    »Ich wusste, dass das irgendwann passiert«, stammelte der Arzt und starrte mit glänzenden Augen auf seine beiden nächtlichen Besucher. »Deine Geschäfte bringen dich noch irgendwann um, Erik.«
    »Noch ist es nicht soweit.« Alexander schob sich an Erik und Ruppert vorbei und betrat unaufgefordert das honiggelb erleuchtete Foyer. »Und wenn ihr beide nun kein Kaffeekränzchen haltet, sondern Erik verarztet, lebt er auch noch etwas länger.«
    Erik nickte zustimmend und begab sich ebenfalls in das im Landhausstil eingerichtete Vorzimmer. Ein alter Bauernschrank mit bunten Blumenmustern thronte mächtig an einer Wand. Daneben kauerte eine alte Bank mit geschnitzten Schnörkeln und ein original Wagenrand aus dem 19ten Jahrhundert hing darüber. Auf der anderen Seite standen Schuhe und eine Garderobe voller Jacken. Ruppert schloss hinter ihnen die Eingangstüre mit einem Klicken.
    »Wer sind Sie überhaupt?« fragte Hawelka schroff, während er seine beiden Gäste durch den Gang in den Wohnraum bugsierte.
    Anstelle von Alexander, ergriff Erik das Wort: »Er ist ein Freund.«
    »Ein Freund?!« Ruppert Hawelkas Stimme überschlug sich fast. »Seit wann zählst du Verbrecher zu deinen Freunden? Die Seriosität steht Ihm nicht gerade ins Gesicht geschrieben.«
    Alexander blieb abrupt stehen und baute sich vor dem Arzt auf. Mit den blutigen Kratzern im Gesicht, den breiten Schultern und seinem stechenden Raubtierblick wirkte er überaus einschüchternd. Tödlich drohend.

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