Blut und Harz
gelegt. Aber würde er in einer solchen Situation ein wenig schlafen?
Jemand stöhnte leise im Zimmer.
Sie sind doch da! Reimund entschied sich blitzartig für brutale Konfrontation. Mit einem Ruck riss er die Tür auf und stürzte ins Zimmer. Seine Roben flatterten hinter ihm durch die Luft, die Kutte verbarg sein Gesicht im Schatten.
Er musste aussehen, wie der schneidige Tod persönlich. Mit diesem Überraschungsmoment rechnete Reimund fest. Seine Gegner sollten vor Panik und Angst überwältigt sein, gelähmt vor Furcht.
Bei dem blassen Mann, der auf einer Behandlungspritsche lag und die Augen entsetzt aufriss, schien Reimunds Taktik zu funktionieren. Ein gellender Schrei löste sich aus der Kehle des Mannes. Ein schwarzer Mantel, der ihn bedeckte hatte, glitt knisternd zu Boden.
Mit einem zweiten Satz war Reimund durch das Zimmer hindurch und hatte alle Ecken mit seinem Blick erfasst, doch er musste zutiefst enttäuscht feststellen, dass Erik und der Rabe nicht mehr hier waren.
Der Mann, es musste Ruppert Hawelka sein, war der einzige Anwesende und dieser pisste sich gerade in die Hose.
Der Gestank von Urin hing schlagartig in der Luft, während sich der Stoff zwischen seinen Beinen dunkel färbte.
Angewidert trat Reimund an den Arzt heran, der nach Luft schnappend zurückweichen wollte, doch Reimund packte ihn am Kragen seines karierten Schlafanzuges.
»Wo sind sie hin?« zischte er drohend. Er musste seinen Ärger nicht einmal spielen.
»Wer sind Sie?« stammelte der Arzt zur Antwort. Seine Augen erinnerten an ein scheues Reh und Schweiß stand ihm auf der Stirn, halb verborgen unter seinem wuscheligen Haarschopf.
Reimund brummte und zog den Arzt noch näher zu sich heran.
»Wo sind Erik Ritter und sein Begleiter hin? Wann sind sie gegangen?«
»Ich weiß es nicht!« Der Körper in seinen Händen begann heftig zu zittern, doch wehren tat er sich nicht. Der Arzt stand immer noch unter Schock. Erst jetzt fiel Reimund die rötlich schimmernde Beule auf, die Hawelka an der Stirn trug.
Mit einem Grunzen hievte er den Mann mit einem Ruck über die Liege, drehte sich halb zur Seite und gab dem Arzt einen Stoß vor die Brust, der ihn nach hinten stolpern ließ.
Der hoch gewachsene Ficus benjamina fing den Sturz von Ruppert Hawelka auf.
Als der Arzt keuchend versuchte sich aus dem Gestrüpp hervor zu wühlen, schlug sein Keuchen in entsetzte Schreie um.
»Mein Gott! Helfen Sie mir!« Die Worte kamen abgehakt und stoßweise.
Reimund verschränkte nur die Arme und trat einen Schritt näher heran. Mit versteinerter Miene beobachtete er, wie sich die feinen Äste der Birkenfeige um Rupperts Handgelenke wanden und sie unnachgiebig nach hinten zerrten. Gleichzeitig fesselte Geäst seine Beine und fixierte sie am Boden. Ein dickerer Strang legte sich wie eine Schlinge um den bleichen Hals des Arztes. Die grün und beige gescheckten Blätter raschelten laut.
»Ein letztes Mal: Was wissen Sie?« fragte Reimund erneut und mit Nachdruck. Seine Geduld war für heute schon lange aufgebraucht.
Die nackte Angst funkelte in den Augen des Arztes. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt.
»Erik und dieser Russe waren bei mir«, antwortete er gepresst. »Ich habe die beiden behandelt, dann hat mich dieser Irre niedergeschlagen. Als ich aufwachte, kamen Sie hereingestürmt.«
»Wann war das?«
Hawelka versuchte mit den Schultern zu zucken, doch die Äste waren unnachgiebig wie geflochtener Draht. »Ich weiß es nicht. Ohnmächtige haben kein gutes Zeitempfinden.«
Da hatte der Mann Recht. Reimund neigte den Kopf ein wenig und ließ die Geschehnisse Revue passieren. Seit er die beiden bei der Suche aus dem Hain heraus entdeckt hatte, konnten keine dreißig Minuten vergangen sein. Länger hatte er nicht bis hierher gebraucht. Umziehen, das Zwischenspiel mit Johannes und die rasante Fahrt hierher. Eine gute halbe Stunde vielleicht. Weit konnten Erik und Alexander also nicht gekommen sein.
»Die beiden waren verletzt? Was hatten sie? Wo wollten sie hin? Haben sie irgendetwas gesagt?“
Der Arzt nickte minimal. Blätter raunten.
»Sie … sie sind beide leicht angeschlagen. Der Russe hat eine geprellte Rippe und eine Schnittwunde. Erik eine Platzwunde an der Stirn und diffuse Schmerzen in der Brust. Von was, weiß ich nicht. Sie wollten die Schwester dieses Russen befreien! Ich erinnere mich noch an seine Worte. Er wollte diese verdammten Kuttenträger leblos am Boden sehen.« Die Stimme des Arztes wurde schrill.
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