Blut und Harz
bringen.
Das weit entfernte Heulen einer Feuerwehrsirene riss Alexander aus seinen Erinnerungen. Er merkte erst jetzt, wie er seine Hände zu Fäusten geballt hatte. Sie zitterten vor Anstrengung. Er spürte den goldenen Ring unter dem Handschuh an seinem linken Ringfinger, wie er sich ins Fleisch drückte. Er blickte nochmals auf die tanzenden Flammen.
Nichts hatte er vergessen, kein Detail, kein Geschrei, kein Gejaule, keinen gefallenen Schuss, kein Gesicht, kein einziges Wort, das gesprochen wurde. Wie einen Film konnte er den damaligen Abend Revue passieren lassen, immer wieder, wie in einer Endlosschleife, wenn es ihn danach verlangte. Und wie es ihn anfänglich danach gegiert hatte, trotz der Übelkeit, die ihn jedes Mal dabei überkam. Jede noch so winzige Kleinigkeit, die ihn zu den Verantwortlichen führen könnte, hatte er begutachtet, bedacht und abgewogen. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass damals etwas in ihm gestorben war. Ein Teil des alten, unbeschwerten, jungen Alexander Kowalski war zusammen mit den vielen anderen in dem Haus verbrannt und hatte nur einen schwarzen verkohlten Rest übrig gelassen, so schwarz wie die Nacht. So schwarz wie die dunkelsten Träume. So schwarz wie das Gefieder eines Raben.
An jenem Heilig Abend wurde inmitten von Chaos, Kugelhagel, Feuer und stickigem, zähem Qualm der Rabe geboren.
Das surrende Blaulicht des ersten Einsatzwagens überzog die entferntesten Bäume der Zufahrtsstraße mit bläulichem Glanz. In wenigen Sekunden würde die Feuerwehr auf den ausladenden gepflasterten Hof fahren. Kowalski sog ein letztes Mal den vertrauten, verhassten Geruch nach verbranntem Holz tief in die Lungen, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Dunkelheit.
Kapitel 4
»Was hältst du eigentlich von diesem Großbrand? Das ist schon ziemlich krass, oder?«
Elias sah von den sprudelnden Blubberblasen auf, als er Nataljas Worte vernahm.
»Ich weiß nicht«, antwortete er. »Irgendwie finde ich die ganze Geschichte seltsam.«
»Seltsam? Was meinst du damit?«
Elias zuckte gleichgültig mit den Schultern und ließ sich tiefer in den heißen Whirlpool gleiten, bis seine harten Schultern vollständig unter Wasser lagen. Er hoffte, dass sich seine Verspannungen lockern würden. Er wusste gar nicht, wovon er so steif war. Wahrscheinlich lag es an der eisigen Stimmung, die zwischen ihm und seinem Vater herrschte.
»Wenn ich mir die Fakten nüchtern betrachte, dann sind mir das einige Zufälle zu viel«, sagte er. Er hatte dabei seine Stimme gesenkt, auch wenn sie die einzigen Badegäste an diesem Dienstagvormittag waren, die den Whirlpool unsicher machten. Zwei ältere Damen saßen einige Meter entfernt in einem Solebecken und ließen sich von Wasserdüsen die schlaffe, faltige Haut massieren. Sie quatschten dabei so angeregt, dass sie es nicht einmal mitbekommen hätten, wenn Elias und Natalja es laut stöhnend miteinander getrieben hätten. Ansonsten schlummerte nur noch eine verträumte Mutter mit ihrem Kleinkind in der Ruheabteilung, deren mit Natursteinen gefliesten Wände von goldgelben Strahlern indirekt beleuchtet wurden, und schaukelte ihr Kind sachte im Arm.
»Dieser Waldbauer, Kühnle, glaub ich, war der letzte Widerstand, den Vater noch hatte«, fuhr Elias fort. »So zumindest stand es heute in der Zeitung und Vater hat das Ganze ja bestätigt. Kühnle wollte einfach nicht verkaufen. Er hat ja erst vor ein paar Tagen Eriks Angebot abgeschmettert. Und es war sicherlich lukrativ! Ein paar Tage später brennt dann sein Hab und Gut vollständig nieder. Komisch, oder? Es müssten schon sehr viele Zufälle auf einmal eintreten. Es würde mich wundern, wenn es da keine Verbindung gibt.«
Natalja musterte ihn durchdringend, dann rückte sie noch näher an Elias heran. Er spürte, wie sich ihre schlanken Beine an seine schmiegten. Ihre heiße Figur wurde dabei von den Unterwasserleuchten, die den Pool in grünliches Licht tauchten, noch betont. Gerade die verschwommene Kontur ihrer Hüften fachte seine Vorstellung an.
»Du willst andeuten, dass dein Vater etwas damit zu tun hat? Das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem war er am Abend des Brandes zuhause. Er kann es gar nicht gewesen sein.«
Elias blickte von der schäumenden Wasseroberfläche auf und schüttelte leicht den Kopf.
»Du glaubst doch wohl nicht, dass Erik sich einen Benzinkanister in den Kofferraum schmeißt und damit schnurstracks zu seinem Widersacher fährt und dessen Bude
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