Blut und Harz
gezögert. Er hatte Lauras weit aufgerissene Augen nur am Rande wahrgenommen. Er hatte ihre kratzenden Fingernägel, die rote Striemen auf seiner Haut hinterlassen hatten, wegen seines Sexrausches nur leicht gespürt. Ein Zeichen ihrer Verzückung! Auch ihre wild um sich tretenden Beine hatten unter Reimunds erdrückendem Gewicht keine Chance.
Alles geschah wie durch einen dichten Nebel hindurch. Reimunds charismatischer Großvater Wilhelm, dem man trotz seiner 82 Jahre noch immer den Charmeur und Frauenversteher ansah und dem im zweiten Weltkrieg der linke Arm amputiert worden war, hatte ihm und Reimund an einem heißen Sommerabend bei einer Flasche Bourbon im dicht bewachsenen Garten flüsternd erzählt, dass es nichts Besseres gab, als ein williges Mädel, das man würgte. Ganz nah war er mit seinem runzeligen, vernarbten Gesicht an ihre herangekommen. Ganz leise hatte er gesprochen, sein Atem vom Whiskey geschwängert und schwer. Erst dann, wenn man seine Macht gegen die Frauen auslebte, blühten sie auf, hatte er gesagt. Sie würden sich stöhnend winden, sie würden schreien und winseln, dass man sie fester nehmen sollte. Sie würden ihr Fleisch gegen einen pressen, anzüglich, hemmungslos, berauschend. Er hatte den beiden jungen Erwachsenen mit leuchtenden, klaren Augen versichert, dass es nichts Sinnlicheres auf der Welt gab, und er sich so sehr danach sehnte, doch mit nur einer Hand war der Spaß dahin. Beide hatten den Ausführungen des Alten andächtig gelauscht, die Worte todernst genommen.
Reimund und Erik hatten an jenem Tag auf der Insel gedacht, der Himmel selbst meine es gut mit ihnen. Dass sie wenige Wochen auf Wilhelms ausführliche Erzählungen genau diese Gelegenheit erhalten würden, kam ihnen wie ein Wunder Gottes vor.
Mit dem Ergebnis hatten sie nur nicht gerechnet.
Als Reimund mit einem grollenden Grunzen in Laura kam und Erik wenige Sekunden später seinen heißen Samen über ihr Gesicht ergoss, wussten beide noch nicht, was sie getan hatten. Erst als sich ihre Blicke nach dem Orgasmus klärten, sahen sie, dass sich Laura nicht mehr bewegte. Ihr lebloser Körper lag heiß, verschwitzt und mit Blessuren übersät am Boden, doch ihre Brust senkte sich nicht mehr auf und nieder. Ihre grünen Augen waren gebrochen, sie starrte in den wolkenlosen Himmel. Über ihren Mund sabberte zäh Eriks milchiges Sperma, vermischt mit schaumiger Spucke.
Entsetzt über sich selbst, hatten die beiden Freunde sich gegenseitig angeblickt, beide nackt mit nass glänzenden, schlaffen Schwänzen, zu ihren Füßen das erwürgte Mädchen. Sie hatten sich gegenseitig mit roten Gesichtern angeschrien, hysterisch gelacht, sich die Schuld zugewiesen, hatten sich weinend wieder versöhnt, den alten Wilhelm Schell, der wenige Tage vorher beerdigt worden war, verteufelt, gebetet, dass er in der Hölle schmoren werde, die nackte Leiche zwischen tiefhängenden Ästen ins Wasser gleiten lassen, sich angezogen und waren zurückgeschwommen. Jugendliche Badegäste hatten den Leichnam zwar am nächsten Tag bereits gefunden, doch die Polizei konnte den Mord nicht aufklären. Es gab keine Zeugen, Erik schwieg, Reimund war verschwunden. Mit heutigen Mitteln wären Erik und Reimund mit Sicherheit verhaftet worden, noch bevor sie gewusst hätten, wie ihnen geschah. Doch Ende der Siebziger herrschte noch eine andere Aufklärungsquote.
Aber welches Verbrechen war es eigentlich gewesen? Vergewaltigung mit Todesfolge? Erik schüttelte den Kopf. Diese Frage hatte er schon tausend Mal hin und her gewälzt. Laura hatte sich zu Beginn nicht gewehrt, sie wollte es selbst haben. Sie war nur aufgeregt gewesen, was aber nicht verwunderte. Ihr erster Dreier im Freien mit zwei Männern. Wenn da einem nicht das Herz bis in den Hals schlug, verstand Erik die Welt nicht mehr.
Aber dann war es zu diesem folgenschweren Unfall gekommen.
Fahrlässige Tötung hätte man vermutlich als Anklage erhoben. Reimund hatte Laura nie erwürgen wollen. Es war einfach passiert.
Eine einzige, salzige Träne lief Erik über die kratzende Wange, als er auf die gelben, prächtigen Rosen auf Lauras Grab hinabblickte. Er hatte schon so viele für Laura vergossen. Genauso zart und schön war sie gewesen. Eine besondere Rose. Und genau wie Laura damals sah Natalja heute aus. Zu ihr musste er nun. Er musste ihr und Elias beistehen. Die Vergangenheit konnte er nicht mehr ändern, doch die Zukunft lag vor ihm. Erik atmete die kühle Luft tief in seine Lungen. Eine zweite
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