Blut und Harz
Träne kullerte dabei über seine Wange, vermischte sich mit der ersten und tropfte hinab auf das gepflegte Grab.
»Verzeih mir, Laura!« hauchte er. »Wir wollten das doch nicht!«
Kapitel 10
Das baukastenartige Gebäude aus den Anfängen der siebziger Jahre zeichnete sich klobig und nur schemenhaft vom trüben Himmel ab. Dunstige Nebelschwaden hüllten die entfernten Fensterreihen in triste Mattigkeit. Obwohl es erst Nachmittag war, herrschte bereits der Zustand der Abenddämmerung. Die meisten Fenster waren hell erleuchtet. Die Lampen des überdachten Krankenhauseingangs glommen verschwommen Erik entgegen, als er vom Parkplatz auf das Gebäude zuhielt. Der Weg war mit niedrigen Büschen gesäumt, dahinter waren verwaiste Bänke und Tische erkennbar, auf denen im Sommer die Kranken und deren Besucher Uno oder Rommè spielten.
Ein einsamer Mann stand vor dem gläsernen Eingang neben einem kleinkindgroßen, sanduhrförmigen Aschenbecher, eingehüllt in einen himmelblauen Bademantel. Seine nackten Füße steckten in abgelaufenen Birkenstocklatschen. Er qualmte hastig an einer Zigarette. Der Geruch nach Tabak mischte sich in die nebelnasse Luft. Ansonsten war niemand zu sehen.
Erik nickte dem Kranken flüchtig zu, dann betrat er die Eingangshalle.
Auch wenn die Klinik von außen noch genauso aussah, wie vor vierzig Jahren, im Inneren hatte dafür die Moderne Einzug erhalten. Eine geschwungene Theke aus weiß lackiertem Holz und milchigem Glas, das von hinten beleuchtet wurde, thronte inmitten der Eingangshalle als Empfangsschalter. Holzimitate, die dunkles Nussbaum nachahmten, setzten zwischen den weißen Elementen Akzente, die Wand dahinter war dunkelrot gestrichen, nur eine schlichte, weiße Uhr mit schwarzem Ziffernblatt hing daran. Der Boden war mit marmoriertem, hellem Vinyl neu ausgelegt worden. Erik hatte den Eindruck, in einer preisgekrönten Designerwohnung zu stehen. Nur die pummelige Dame hinter dem Schalter zerstörte die Illusion der Moderne. Sie stammte, wie die Fassade des Hauses, wahrscheinlich noch aus den Anfängen des Krankenhauses und hätte selbst eine Sanierung nötig gehabt. Ihr Blick war auf Dokumente gerichtet, die vor ihr lagen.
Erik war froh darum. Er hatte keinen Nerv auf sinnfreie Konversation und er kannte den Weg zu Elias Zimmer. Mit eiligen Schritten hastete er leise an der beschäftigten Dame vorbei, die nur flüchtig aufblickte. Als sie seine Eile bemerkte, widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.
Wenig später wartete Erik ungeduldig auf den Aufzug. Ebenfalls aus den Siebzigern. Er ließ ihn lange warten, doch dann endlich ertönte das helle Bing der sich öffnenden Aufzugstüre.
Im engen Inneren begrüßte ihn ein Trio Krankenschwestern mit einem dreifach unfreundlichen Lächeln. Erik brachte nur eine flüchtige Erwiderung zustande, dann blickte er starr geradeaus auf die Metallwand und drückte den Knopf für die zweite Etage. Ihm war nicht nach diesen Aufzuggesprächen, wo man doch nur nicht wusste was man sagen sollte.
»Hast du schon gehört«, sagte eine der Schwestern, während sich die Tür schloss. »Dieser arme Junge ist vorhin gestorben.«
Der Aufzug setzte sich in Bewegung.
»Äh äh!« Eine zweite legte überrascht den Kopf schief. »Meinst du den, der heute erst operiert wurde? Die Lage schien doch stabil zu sein. Das gibt es doch gar nicht.«
»Ja, den meine ich.« Sie seufzte. »Was will man machen. So ist das Leben.«
Eriks Hände begannen unkontrolliert zu zittern. Sein Atem stockt in seiner Brust. Er wollte gerade nach Elias fragen, als die zweite wieder das Wort ergriff.
»Gerade mal zehn Jahre alt und schon tot. Ein Kind! Wie grausam ist unser Gott nur?«
Erik brauchte einen langen Moment, bis er die Worte begriff. Beinahe verschluckte er sich und hustete keuchend. Für einen Augenblick hatte er gedacht -
Bing!
Die silbrig geriffelten Türen bewegten sich rumpelnd zur Seite. Sie waren im zweiten Stock angekommen. Ihm schlug der typische Krankenhausgeruch entgegen. Es roch nach Desinfektionsmittel, Putzmittel und Krankheit. Vielleicht tat es das auch gar nicht, aber Erik hatte immer diesen Duft in der Nase, wenn er ein Krankenhaus betrat. Er verließ benommen den Aufzug und folgte dem Gang in den hinteren Flügel, wobei er immer langsamer wurde. Sein Herz pochte immer noch laut in seiner Brust. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass es vielleicht wirklich das letzte Mal sein konnte, dass er seinen Sohn lebend sah. Andere Eltern hatte es heute
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