Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
Vom Netzwerk:
preisgab, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Trotzdem fragte er leise: »Der wäre?«
    Der Rabe hob den Kopf. Sein Gesicht war zu einer grimmigen Maske erstarrt, die Brandnarben glänzten leichenfahl. Er blickte Erik durchdringend in die Augen. In ihnen zeichnete sich Ärger ab. Richtiger Ärger. Wahrscheinlich Ärger über sich selbst, dass er so blind gewesen war.
    »Ich bin nun genauso ein Mitwisser. Wenn ich Sie und alle anderen umgebracht habe, wird dieser Reimund mich umbringen lassen.«
    ***
    Nataljas Gedanken überschlugen sich, brüllten ihr laut »FLIEH!« entgegen. Doch sie stand wie gelähmt den Flammen gegenüber. Diese flackerten grell und heiß, darunter mischte sich bereits schwarzer Qualm.
    Das Inferno erinnerte sie an den gehörnten Balrog, den flammenden Dämon des Schreckens aus Herr der Ringe, dem Gandalf mutig in den Mienen von Moria entgegen trat. Nur jetzt musste sie diesem brennenden Monster entkommen, das sich beständig näher in das Zimmer fraß. Und sie hatte keine zauberhafte Magie oder ein rettendes Schwert zur Hand.
    Endlich löste sie sich aus ihrer Schockstarre. Es gab nur einen weiteren Ausweg: das Fenster zum Innenhof.
    Hastig sprang sie dorthin, weg von der flammenden Hölle, packte den Fenstergriff und drehte ihn kräftig nach oben. Eine Zwischeneinstellung gab es nicht. Die Scheibe ließ sich nur kippen. Eine Sicherheitsvorkehrung von Erik gegen Einbruch. Scheiße!
    Verzweifelt schlug Natalja gegen das Glas. Auf der anderen Seite plätscherte ein Brunnen friedlich vor sich hin. Eine erholsame Idylle, wäre nicht das tödliche Feuer in ihrem Rücken gewesen.
    Eine zarte Rauchwolke streifte ihre Wange, ließ sie herumfahren. Sie sah, dass sich das Zimmer mehr und mehr mit den giftigen Dämpfen füllte. Schwarz, zäh und lebenszerstörend. Dazu wurde es immer wärmer.
    Sie musste nach draußen! Sie musste durch das Fenster!
    Gehetzt sah sie sich nach einem Werkzeug um, mit dem sie die Scheibe einschlagen konnte. Nach wenigen Sekunden sah sie Eriks umgekippten Bürostuhl. Das glänzende Metallfußkreuz sah stabil und massig genug aus.
    Ächzend wuchtete sie den schweren Stuhl nach oben, versuchte ihn wie eine Ogerkeule gegen die Scheibe zu donnern. Der erste Ansatz endete in einem ereignislosen Schlag. Das Glas zitterte nur leicht, der Sessel entglitt ihren schweißnassen Fingern und krachte erneut zu Boden.
    Eine dichtere Rauchschwade hüllte sie ein. Der Rauch brannte in ihren Lungen, ließ sie unkontrolliert husten. Natalja ignorierte den Reiz. Sie packte den Bürostuhl erneut, dieses Mal entschlossener. Sie musste ihre Taktik ändern. Wenn sie den Sessel nur wie eine Axt schwang, hatte sie zu wenig Kraft in Armen und Schultern. Sie würde den Sessel wie einen Rammbock benutzen müssen.
    Ohne Zeit zu verschwenden, brachte sie den Stuhl in Position. Die weiche, gepolsterte Sitzfläche lag satt auf ihrem Bauch und ihren Brüsten auf, das Fußkreuz ragte wie ein fünfzackiger Stachel vor ihr in den Raum. Die schwarzen Rollen wankten dabei hin und her.
    Natalja schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Erik auf Armlehnen verzichtet hatte. Dann trat sie drei Schritte zurück, visierte das Fenster an.
    Hitze schmeichelte ihren Rücken, liebkoste ihre Haut. Schweiß stand ihr bereits auf der Stirn, rann ihr in einem großen Tropfen zwischen den Augenbrauen herab in die Augen. Ein letztes Mal blinzelte sie die brennende Flüssigkeit zur Seite, dann rannte sie schreiend los.
    Die ersten beiden Scheiben des Dreischeiben-Isolierglas-Fensters barsten unter ihrem Ansturm. Winzige Splitter regneten durch die Luft, überschütteten sie mit glitzernden Glasscherben, die im Feuerschein wie Diamanten funkelten. Eine der Plastikrollen brach vom Kranz ab, kullerte über die Fliesen in die Flammen, gefolgt von einem Schwall Gestank.
    Natalja schluckte den Geschmack nach schmorendem Plastik und Asche hinunter. Grimmig packte sie den Bürostuhl erneut, visierte die Scheibe zum zweiten Mal an. Das Leder knarzte unter ihrer Haut. Der Qualm war mittlerweile so dicht, dass sie das hellere Fenster nur noch schleierhaft sah. Hustend und mit aller Kraft warf sie sich gegen die dünne Scheibe, die sie von dem rettenden Innenhof trennte.
    Erneut ergoss sich ein Kristallregen über sie, als die letzte Barriere krachend nachgab und sie samt Bürostuhl halb aus dem Fenster stürzte. Eisige, wohltuende Luft schlug ihr entgegen, doch im selben Moment loderten die Flammen noch heller auf, beflügelt vom frischen

Weitere Kostenlose Bücher