Blut und Kupfer
das Haus von Tulechow. Neben anderen Wertsachen wurde die Tafel gestohlen. Tulechow ist außer sich vor Wut und hat eine Belohnung für die Wiederbeschaffung der Tafel ausgesetzt, beim Herzog um polizeiliche Unterstützung in seiner Sache gebeten und schwört den Dieben blutige Rache.«
Marie spürte, dass er sie ansah, und wandte ihm ihr Gesicht zu. »Tulechow kann also nicht hinter den Diebstählen und Morden stecken. Warum sollte er sich selbst bestehlen? Es sei denn, er will den Verdacht von sich ablenken. Aber wieso sollte er das tun? Eine der Tafeln ist hier auf Kraiberg, und von der vierten Tafel wissen wir nicht, wo sie ist.«
Er nickte ernst. »Hinter den Morden und den Diebstählen in Wasserburg und München muss ein und dieselbe Person stecken!«
»Mein Oheim besitzt eine Tafel. Ist es ein Wunder oder Zufall, dass er noch nicht deswegen getötet wurde?«
»Angst vor der Rache des Herzogs könnte Euren Oheim bewahrt haben. Obwohl ein skrupelloser Mörder, der so methodisch vorgeht, davor letztendlich nicht zurückschrecken wird.«
Die Pferde waren angeschirrt, und Carl ließ die Kutsche an der Treppe vorfahren, wo Eugenia mit dem Gebaren einer Großherzogin darauf wartete, dass man den Tritt für sie herunterklappte. Unter Quengeln und Schreien stiegen auch die Mädchen ein. Eine große Reisetruhe wurde aufgeladen und vertäut, und Eugenia streckte ungeduldig den Kopf zum Fenster hinaus. »Pater Hauchegger!«, schrillte die Stimme der Freifrau über den Hof und durch das gesamte Haus.
Endlich erschien der Jesuit mit einem gequälten Lächeln und schob seinen wohlgenährten Leib in die altersschwache Kutsche, die sich ächzend in Bewegung setzte. Ruben und Marie traten zur Seite, um das Gefährt passieren zu lassen. Albrecht erwartete sie auf dem Treppenabsatz an der maroden Brüstung.
»Was wollt Ihr denn hier? Wandelt Ihr auf Freiersfüßen? Der Preis für meine holde Schwester sinkt täglich. Aber sie tut ja auch alles dafür, ihren und den Ruf der Familie zu verunglimpfen! Seid Ihr vermögend?«, beschloss Albrecht seine pöbelnde Begrüßung.
Ruben Sandracce verzog keine Miene. »Gott zum Gruße, Signore.«
»Also nicht! Hätte mich auch gewundert. Ach, zum Teufel mit euch allen!« Albrechts Gesicht war gerötet, seine Augen glasig, und als er die Balustrade losließ, schwankte er leicht.
»Wohin sind Eugenia und die Kinder gefahren?«, fragte Marie freundlich.
Albrecht fuhr sich durch die Haare. Auf seiner Stirn bildete sich ein Schweißfilm. »Josef!«, brüllte er. »Wo ist der verfluchte Bastard?« Er stapfte auf die Haustür zu. »Meine fromme Gattin macht eine Wallfahrt zur Gnadenkapelle von Altötting. Ein Ave-Maria und zwei Hallelujas für uns verderbte Sünder. Vielleicht kommen wir doch noch ins Paradies!«
Sein rohes Lachen, während er die Türflügel mit dem Fuß aufstieß, ließ Marie zusammenzucken, der Salbentiegel entglitt ihren Händen und zerschellte auf den steinernen Stufen. Sie bückte sich und fühlte erneut die Tränen aufsteigen. Beschimpft und verachtet vom eigenen Bruder, aber vielleicht hatte sie es nicht anders verdient. Lautlos schluchzend suchte sie nach den Tonscherben, bemüht, zumindest einen Teil der Salbe zu retten, und stieß sich einen Splitter tief in den Finger. »Himmel!«, rief sie und ließ die Scherben fahren.
»Bitte, lasst mich helfen«, sagte Ruben sanft und ergriff ihre verletzte Hand. »Der Splitter steckt unter dem Nagel, aber ich kann ihn herausziehen, wenn Ihr stillhaltet.« Er sah sie an.
Die Wärme, die von seiner Berührung ausging, hatte etwas Tröstliches, und Marie nickte, obwohl sie sich für ihren kindischen Gefühlsausbruch schämte. Nachdem er den Splitter vorsichtig herausgezogen hatte, machte sich ein pochender Schmerz bemerkbar, doch der würde vergehen. Die Demütigung durch ihren Bruder hatte eine tiefere Wunde gerissen.
»Ihr solltet die Wunde auswaschen, auch wenn sie klein scheint. Ich habe schon Finger nach ähnlichen Wunden abfaulen sehen.«
Erschrocken hob sie den Blick und begegnete braunen Augen, in denen es schalkhaft blitzte. Erleichtert lächelte sie. »Danke. Bitte, kommt mit zu meinem Oheim. Er hat Euch ebenfalls einiges zu berichten.«
Als sie in die Halle kamen, stand Albrecht in der offenen Bibliothekstür und musterte sie übellaunig. »Wir sprechen uns noch, Marie. Glaubt nicht, dass Ihr so einfach davonkommt. Wo zum Henker bleibt dieser faule Kerl mit dem Branntwein?« Der Gutsherr sah in Richtung der
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