Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
Vom Netzwerk:
Fliegenlarven. Mit dem Messer schob Marie die verwesende Tierleiche samt Schal in einen Eimer. »Ich halte bestatten für eine bessere Idee.«
    Von unten ertönte Geklapper, und sie hörten, wie Els sich bei einem Burschen bedankte. »Lass es hier stehen. Das bringe ich selbst hinauf.«
    Wenig später war Remigius’ Zuber randvoll mit dampfend heißem Wasser gefüllt, und Els legte Seife, Schere und Handtücher bereit. »Ich habe meine Eltern und Großeltern versorgt. Wenn es Euch also recht ist?«
    Marie sah fragend zu Remigius, der nickte und sich mit geschlossenen Augen zurücklehnte. Unter seinem nassen Hemd zeichnete sich der erschreckend magere Körper ab, doch nahrhaftes Essen und das Wissen, nicht länger der niederträchtigen Nonne ausgeliefert zu sein, hatten den Kampfgeist des alten Gelehrten geweckt.
    Marie überließ Remigius der in Pflegedingen erfahrenen Els und bedeutete Ruben, ihr zu folgen. »Ihr müsst hungrig von der Reise sein, von wo auch immer Ihr gekommen seid«, sagte sie leicht verstimmt, denn die Geheimniskrämerei sowohl von Remigius als auch von Ruben verletzte sie.
    Als sie nach dem Riegel der Turmtür griff, schloss sich Rubens Hand sanft um ihre. Sanft zog er sie ins Halbdunkel unterhalb der Wendeltreppe, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und holte tief Luft, bevor er leise zu sprechen begann. »Ich bin seit Sonnenaufgang unterwegs und komme direkt aus dem Jesuitenkolleg in Landshut. Hainhofer hat mich darauf gebracht. Nach dem Diebstahl von Tulechows Tafel habe ich den Kunsthändler im Gasthaus wiedergesehen. Es war reiner Zufall, dass er im Bäcklbräu sein Mittagsmahl einnahm. Wir kamen ins Gespräch über den frechen Diebstahl, den Tulechow zum Stadtgespräch gemacht hat, und Hainhofer erzählte, dass er eine ähnliche Tafel auf einer seiner vielen Reisen gesehen zu haben glaubte. Der Augsburger kauft und verkauft, auch in Klöstern, und er meinte, in einem Jesuitenkloster einen Tisch von ganz ähnlicher Machart gesehen zu haben. Damals hat er wohl kein besonderes Augenmerk darauf gelegt, doch ist ihm das seltene Bildmotiv in Erinnerung geblieben.«
    Wie selbstverständlich lagen ihre Hände ineinander. Quer über seinem dünnen Lederwams, unter dem ein verstaubtes weißes Hemd hervorsah, hing eine schmale Tasche. In seinem Gürtel steckten Jagdmesser und Dolch. Was war es, das sie so zu diesem Mann zog?, fragte Marie sich. Die Mischung aus kantiger Männlichkeit und Augen, die kalt, unbeteiligt, verführerisch und sanft zugleich schauen konnten? Seine geheimnisvolle Vergangenheit, die er so beharrlich hütete, oder die Aura von Gefahr, die ihn umgab, weil sie sich nicht sicher sein konnte, welche Rolle er im mörderischen Ringen um die Tafeln spielte? Oder war sie einfach nur einsam und ließ sich von unerfüllten Sehnsüchten leiten wie ein dummes Bauernmädchen?
    Er schien ihre Zweifel zu spüren, denn der Druck seiner Hände verstärkte sich. »Hainhofer, der am selben Tag weiter nach Straßburg gereist ist, dachte, er hätte den Tisch im Landshuter Kolleg gesehen. Deshalb bin ich dorthin geritten, habe mich als italienischer Kunstagent ausgegeben und nach einem Tisch dieser Machart gefragt. Für ein gutes Geschäft sind auch Ordensbrüder immer zu haben. In Landshut ist die Tafel nicht, aber einer der Patres meint, sie in der Residenz Biburg oder in der Villa Riem gesehen zu haben.«
    »Warum seid Ihr dann nicht sofort dorthin gereist?«
    Er schwieg und strich ihr über Wange und Hals. Seine schön geschwungenen Lippen umspielte ein Lächeln, als er sagte: »Ich wollte mit Eurem Oheim sprechen, und ich wusste, dass Ihr mit Doktor Kranz nach Kraiberg gefahren seid.«
    Von oben war nichts zu hören außer gelegentlichem Wasserplätschern und Els’ verhaltener Stimme. Bitter sagte sie: »Meine einzige Möglichkeit, nach Kraiberg zu gelangen, war ein berechnender Advokat, der glaubte, sich mit seinem Gefallen mehr verdient zu haben als …«
    Ruben zog sie an sich, und Marie barg ihr Gesicht an seinem Wams, das nach Leder und Pferd roch. Es war so tröstlich, sich anlehnen zu können, dass die Ängste und leidvollen Erfahrungen der letzten Tage sich in stummen Tränen entluden. Er strich ihr über den Rücken und murmelte beruhigende Worte, bis ihr Schluchzen verebbte. Sie rief sich selbst zur Ordnung, schalt sich eine Närrin, denn Tränen halfen weder ihrem Oheim noch Georg oder ihr selbst. Doch ein Moment der Schwäche war nur menschlich, und sie vermisste die Geborgenheit

Weitere Kostenlose Bücher