Blut und Kupfer
ie Glocken der Klosterkirche läuteten zur Prim und beendeten eine Nacht, die von einem Gewitter und heftigen Regenschauern immer wieder unterbrochen worden war. Marie erhob sich müde und zerschlagen von ihrem Bett. Erst in den Morgenstunden hatte sie den bedrückenden Gedankensturm verdrängen und etwas Schlaf finden können. Sie stieß die Fensterläden weit auf und roch die Feuchtigkeit, die noch aus dem Gras aufstieg und sich mit dem modrigen Geruch der Isar vermengte. Der Nachtschweiß klebte an ihr, und sie ging hinunter in die Badestube, wo sie ihren Körper in einen Zuber mit kaltem Wasser tauchte. Eine junge Novizin hatte Dienst und reichte ihr ein Stück Seife.
Marie wusch sich die Haare und schnupperte an dem nach Rosen duftenden Seifenstück, ein Luxus, den sie lange entbehrt hatte. »Ich nehme an, dass diese edle Seife einem Stifter zu verdanken ist?«
Die Novizin trat mit Kamm und Handtuch näher und wollte beides auf einen Schemel neben dem Zuber legen. Als sie sich vorbeugte, sah Marie in das Gesicht von Katharina, die beschämt auf den Schemel starrte und stotternd nach Worten suchte. »Es tut mir leid, eigentlich wollte ich …« Sie holte tief Luft und sagte: »Ich wollte Euch keinen Ärger machen.«
Marie ließ die Seife auf den Schemel gleiten und drückte Katharina den Kamm in die Hand. »Du könntest es wiedergutmachen, indem du mir die Haare kämmst.«
Eifrig machte sich die Novizin daran, die dicken Locken zu entwirren. »War die Oberin sehr streng mit Euch?«
»Ach, Katharina, die Mutter Oberin ist mein geringstes Problem … Sie hat ein Kloster zu leiten und muss darauf sehen, dass ihr Haus nicht in Verruf gerät.« Marie hob die Schultern. »Sonst gibt es wohl bald keine reichen Damen mehr, die euch Rosenseife schenken.«
»Ich bin gern hier, wisst Ihr. Es ist so ruhig und beschaulich. Bis auf … Sagt, ist es nun so, dass die arme Schwester Gisla erdrosselt wurde? Sie war eine so stille, reizende alte Dame.«
»Ihr Halstuch hatte sich verdreht und hinterließ diesen Striemen, der mich irritierte.«
»Oh, ich war zu voreilig. Verzeiht mir, gnädigste Frau.«
Außer Marie war niemand in der Badestube, ein schlichter Raum mit weiß gekalkten Wänden und einem sauber gefegten Steinfußboden. Die Nonnen standen lange vor der Prim auf und hatten feste Waschtage. Als es an der Tür klopfte, legte Katharina den Kamm zur Seite. »Entschuldigt mich.«
Sie kam gleich darauf zurück. »Da ist ein Botenjunge für Euch im Pförtnerhaus. Er will Euch unbedingt persönlich eine Nachricht überbringen. Soll er warten?«
»Natürlich!« In Windeseile war Marie aus dem Zuber gestiegen, angekleidet und notdürftig frisiert. Ihre Haut war noch feucht, als sie in das Pförtnerhaus lief und einen mageren kleinen Straßenjungen erblickte, der an einem Stück Käse kaute. Aus seiner durchlöcherten Tasche ragte ein Stück Brot hervor. Die Schwester, die den Pförtnerdienst versah, empfing Marie mit einem Lächeln. »Armer Bub, kaum Fleisch auf den Knochen. Er hat Euch was zu sagen. Mir wollte er kein Wort verraten.« Sie ließ Marie mit dem Jungen allein.
Der Junge kaute, schluckte mehrfach und schloss die Augen, als konzentrierte er sich, um sein Sprüchlein aufzusagen: »Beim Schusterladen, Ihr wisst schon, welcher, trefft Ihr den Herrn Ruben. Es ist dringend.«
Kaum war das letzte Wort heraus, da steckte er den Käse ein und ging zur Tür.
»Ja warte doch!«, sagte Marie und wollte den Kleinen am Ärmel packen, doch der wand sich wie ein Aal, gewohnt, schnell zu verschwinden.
»Mehr hab ich nicht zu sagen. Die Schwester hat mir das Brot und den Käse gegeben! Ihr könnt’s mir nicht fortnehmen.«
»Aber wann denn? Wann soll ich dort sein?«
»Na jetzo gleich.« Der Kleine zog an dem eisernen Ring der Klostertür, und die Schwester öffnete den Riegel, wobei sie Marie ansah.
Diese nickte und hob in einer ergebenen Geste die Arme, woraufhin die Schwester den Kleinen hinausließ.
»Aus diesen Straßenjungen ist nichts herauszubekommen, wenn sie nicht wollen. Es muss sehr dringend sein, wenn mein Bruder mich auf diese Weise rufen lässt.« Ruben wollte sie sehen! Sie verbat sich aufkeimende Zweifel an der Echtheit der Nachricht. Es musste etwas geschehen sein! Marie prüfte ihren Gürtelbeutel, in dem sich noch genügend Münzen für eine Tour mit dem Tragsessel befanden. »Lasst eine Sänfte für mich rufen. Zum Löwenturm. Ich frage die Mutter Oberin um Erlaubnis.«
»Das geht nicht. Sie
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