Blut und Kupfer
Schlüssel! Hat er den Schlüssel?«
Plötzlich stürzten die Holzdielen mit rasender Geschwindigkeit auf sie zu, doch bevor sie die Besinnung verlor, sah sie das leere Holzgestell wie ein schwarzes Kreuz über sich aufragen und dachte, wenn der Rebis darauf zu sehen ist – sind wir alle tot.
XXXII
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Bitteres Erwachen
… nur so viel ist gewiss, dass es nichts Gewisses giebt und dass nichts elender und stolzer ist als der Mensch.
Caius Plinius Secundus, »Naturgeschichte«,
II. Buch, »Von der Welt und den Elementen«
A us den Tiefen eines unnatürlich bleiernen Schlafes versuchte Marie, sich an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu kämpfen. Ihre Augenlider fühlten sich steinern an, wie kleine Sargdeckel, dachte sie und bewegte die Zunge, die pelzig und geschwollen schien. Ihre Zungenspitze stieß gegen die obere Zahnreihe, und sie riss die verklebten Lippen auseinander, um einen Laut zu formen, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht, und nur ein unartikuliertes Gurgeln war zu hören. Ihr ganzer Körper fühlte sich fremd an, und jeder Befehl, den ihr Gehirn an einzelne Glieder aussandte, wurde mit quälend langer Verzögerung nur unzureichend ausgeführt. Heilige Jungfrau, hilf mir aus diesem Elend! Mühsam gelang es ihr, sich in ihren Kissen aufzurichten und die Augen zu öffnen. Ihr Status als Gefangene musste gesunken sein, denn man hatte sie in eine enge Kammer im Dachgeschoss verfrachtet. Ihr Bett, ein Holzgestell mit einem Strohsack, stand unter der Dachschräge, gegenüber befand sich auf Schulterhöhe ein Fenster, das nicht vergittert war, wie Marie registrierte. In ihrem jetzigen Zustand würde sie sich auf jeder Treppe das Genick brechen. An Flucht über die Dächer der Stadt war nicht zu denken. Noch nicht. Was zum Teufel hatte Berthe ihr eingeflößt? Marie drehte den Kopf, tastete nach dem Verband, der noch an seinem Platz saß, und entdeckte einen verschlossenen Topf und einen Becher auf einem Schemel neben dem Bett. Durstig griff sie nach dem Becher und trank den gewässerten Wein in einem Zug aus. Bald darauf schwanden ihr erneut die Sinne.
»Sie hat den Wein getrunken, braves Mädchen.« Es plätscherte, Geschirr klapperte, und das Fenster wurde geöffnet. Der kalte Luftzug brachte sie zurück aus den Tiefen beklemmender Alpträume.
»Du hast ihr hoffentlich nicht zu viel Schlafmohn gegeben. Solange Tulechow nicht zurück ist, brauche ich sie noch. Der Alte kommt nicht so schnell voran wie erwartet.«
Die Stimme des Grafen. Und der Alte musste ihr Oheim sein. Remigius war am Leben!
»Sie hat sich bewegt. Hört sie uns?«
Jemand riss ihr die Augenlider auf. »Nein, sie ist noch bewusstlos.«
Auch deine Zeit wird kommen, Berthe, schwor sich Marie und verspürte plötzlich tiefes Mitgefühl mit Ruben. So also fühlte sich Hass an, und dabei hatte Berthe sie nur verletzt. Wie musste es Ruben ergehen, der seine gesamte Familie durch die Schuld eines Menschen verloren hatte?
Eine andere männliche Stimme meldete sich: »Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Zeichen bereits auf Krieg stehen, Hochwohlgeboren.«
»Sie werden, Zeiner, Er wird schon sehen, dass selbst diejenigen, die sich jetzt im Glanze milder Toleranz sonnen, spätestens nach Ferdinands Absetzung nach Rache schreien.«
Larding und der Geheimrat! Was, in Gottes Namen, trieb der Graf für ein Spiel?
»Der Kardinal wird ihm vorerst die Wenzelskrone auf sein habsburgisches Haupt setzen«, sagte Zeiner. »Wie habt Ihr es nur zuwege gebracht, den Oberstkanzler Lobkowicz auf Eure Seite zu bringen?«
»Dafür musste ich nicht viel tun! Kaiser Rudolf hat sich 1609 mit dem Majestätsbrief viele Sympathien verscherzt, zumindest die der katholischen Böhmen. Lobkowicz war damals bereits Oberstkanzler und weigerte sich, das Dokument zu unterzeichnen. Dazu ist er seit Jahren weltlicher Führer der Katholischen und ein fanatischer Gegner der Reformation in Böhmen. In seinen Augen war Ferdinand der ideale Kandidat für die Krone. Und …« Larding machte eine gewichtige Pause. »Lobkowicz ist mit Polyxena von Pernstein verheiratet.«
Marie hörte, wie Zeiner scharf die Luft einsog. »Aber ja doch! Polyxena ist die Witwe des Wilhelm von Rosenberg und damit im Besitz eines reichen Erbes, nicht nur an Besitzungen und Reichtümern, sondern an der wissenschaftlichen Sammlung Rosenbergs.«
Es kostete sie Mühe, ihre Gedanken zu sortieren, doch der Name Rosenberg brachte eine Saite in ihrem Kopf zum Klingen, die sie mit Alchemie und
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