Blut und Kupfer
Großzügigkeit hintergangen! Die Affäre mit Herrn von Tulechow war vom Grafen geplant worden, und sie hatte sich einverstanden erklärt, den schönen, reichen Mann zu verführen. Aber sie hat es zu weit getrieben, und jeder konnte sehen, dass sie sich in den Herrn von Tulechow verliebt hatte. Diese Demütigung konnte mein Herr nicht hinnehmen!«
»Und Gott?«, fragte Marie leise. »Wie vereinbarst du dein sündhaftes Tun mit Gott, dem du dein Leben geweiht hast?«
Berthe bekreuzigte sich. »Gott sieht alles – meine Verfehlungen und die guten Taten, die ich in seinem Namen tue! Ich habe mehr als zwei Dutzend Fälle von hexerischem Treiben angezeigt! Aber vor einer wie Euch muss ich mich nicht rechtfertigen. Trinkt das hier!«
Angewidert beobachtete Marie, wie ihr die Nonne den Becher zuschob, in dem sich der mit Schlafmohn vermengte Wein befand. »Ich möchte mich waschen und mich erleichtern …«
Berthe zögerte kurz und deutete dann auf den Waschtisch am Fenster. »Ich werde Euch etwas zu essen bringen. Verhungern sollt Ihr nicht!« Sie kicherte boshaft und ließ Marie mit düsteren Spekulationen über ihr bevorstehendes Schicksal zurück.
Nach einer notdürftigen Reinigung und einem weiteren Schluck aus dem Waschkrug goss Marie den Wein zum Fenster hinaus und legte sich wieder ins Bett, denn die wenigen Bewegungen hatten sie bereits stark erschöpft. Berthe brachte eine Schale kalte Grütze und sah in den Becher.
»Wie fühlt Ihr Euch?«
Marie warf ihr einen missmutigen Blick zu. »Wie lange muss ich hierbleiben? Ich bin doch im Schuhmacherhaus?«
»Esst!« Berthe drückte ihr die Schale und einen Löffel in die Hand. »Ihr seid uns gefolgt, nicht wahr? Und dann habt Ihr Euch gefragt, wer wohl hier wohnt, aber niemand weiß es, weil der Graf das Haus durch einen Strohmann gekauft hat. Er ist schlauer als Ihr und Euer Oheim. Ich habe meine Zeit auf dem Gut genutzt und das Buch gefunden, das der sture alte Kapuziner Jais nicht geben wollte.«
Aber du weißt nicht, dass Remigius die drei entscheidenden Seiten herausgerissen hat! Sie kostete einen Löffel Grütze, in der sie Kornhülsen fand, die sie ausspuckte.
»Was anderes bekommt Ihr nicht, also esst brav auf. Pater Hauchegger fürchtete den Zorn Eures Oheims, deshalb hat er sich nicht in den Turm gewagt. Aber er kümmert sich rührend um Eure Schwägerin! Über kurz oder lang wird Euer Familiensitz in den Besitz der Jesuiten übergehen und der Name Kraiberg aussterben.«
Marie würgte die fade Grütze herunter. »Mein Hund? Habt Ihr jemanden gedungen, mich zu töten?«
»Davon weiß ich nichts. Aber ich erinnere mich, dass Ihr es Euch mit einem Schwaigbauern des Gutes verdorben hattet. Seid Ihr fertig? Ah, die Müdigkeit übermannt Euch.«
Tatsächlich konnte Marie die Augen kaum noch aufhalten und glitt gegen ihren Willen, der dem Opiat nicht gewachsen war, hinüber in unruhige Träume. Alptraumhafte Gestalten beugten sich über sie, zerrten ihr an den Haaren, kniffen sie in die Wange, die wieder zu bluten begann, und hoben sie auf einen Thron, der mit blutroten Steinen geschmückt war und auf einer bunten Scagliola-Tafel stand. Dann erklangen Fanfaren, und eine lange Reihe schwarz gewandeter gesichtsloser Nonnen kam mit Spießen an ihrem Thron vorüber. Von den Spießen tropfte es blutig auf die Erde, die sich dunkel färbte, und sie, die sich nicht bewegen konnte, musste nacheinander in die toten Augen geliebter Seelen schauen, deren abgetrennte Köpfe auf den Spießen steckten. Von solcherlei Alpträumen gepeinigt, wechselten Maries betäubte Schlafphasen über mehrere Tage und Nächte mit kurzen Wachphasen, bis sie eines Nachts erwachte und die Augen aufriss, weil sie eine Berührung an ihrer Hand verspürte. Jetzt war es so weit. Sie sollte sterben!
»Marie«, flüsterte eine vertraute Stimme aus fernen, unwirklichen Tagen an ihrem Ohr. »Was haben sie dir nur angetan …«
Sie weinte und betete, dass sie nicht träumte oder Berthe sich eine neue Marter für sie ausgedacht hatte. Die freundliche Hand streichelte ihr die Stirn und hob ihren Kopf an. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. »Ruben.«
»Oh Gott, ich werde mir nie verzeihen, dass ich dich nicht beschützt habe, Marie. Aber jetzt musst du stark sein und aufstehen. Wir müssen hier heraus sein, bevor sie das Haus stürmen.« Seine kräftigen Arme hoben sie aus dem Bett und stellten sie auf die Füße, doch sie hatte so lange gelegen, dass sie keinerlei Kontrolle
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