Blut und Kupfer
lachte, was Rubens Wut entflammte und ihn unvorsichtig nach vorn preschen ließ. Sofort nutzte Jais die offene Stellung und brachte Ruben einen Stich in den Oberarm bei.
Marie schrie auf und klammerte sich am Geländer fest.
»Sieh oben nach!«, brüllte einer der Soldaten, und Stiefel polterten die Treppen hinauf. Ein Soldat in den Farben des Herzogs kam mit gezogenem Degen herauf und schrie, als er die Kämpfenden sah: »Herr von Tulechow!«
Es dauerte keine Minute und das markante Profil des Aristokraten erschien hinter dem Soldaten auf dem Gang, von dem ein halbes Dutzend Türen abgingen und an dessen entgegengesetztem Ende sich der verwundete Ruben verzweifelt gegen einen überlegenen Gegner zur Wehr setzte. Marie sah, wie Tulechow die beiden konzentriert beobachtete, seine Pistole zog, schussfertig machte und dann wartete, bis Ruben mit dem Rücken zu ihm stand. Mit der Ruhe des geübten Schützen legte Tulechow an. Marie wollte nach vorn laufen, doch ein kurzer Wink Tulechows hielt sie zurück. »Duckt Euch, Sandracce!«, brüllte Tulechow.
Jais stand mit zum Stoß erhobenem Dolch vor Ruben, der sich blitzschnell fallen ließ. Zeitgleich fiel der Schuss, es stank nach Pulver, und Jais krachte hintenüber gegen den Wandschrank. Ruben war sofort wieder auf den Beinen, schaute als Erstes nach Marie, deren Fingerknochen weiß aus den um das Geländer verkrampften Händen hervorstachen, und wandte sich an Tulechow, der mit wenigen Schritten bei ihm war und ihm kurz auf die Schulter klopfte. Nebeneinander traten die beiden Männer, die sich vom äußeren Erscheinungsbild erstaunlich ähnlich waren, auf den verwundeten Meuchelmörder zu und rissen ihn grob auf die Füße.
Tulechow winkte dem Soldaten, der den aus einem Schulterschuss blutenden Jais auf versteckte Waffen durchsuchte. Die Männer standen nur zwei Schritte entfernt vor Marie. Jais verzog keine Miene, obwohl die Kugel ein klaffendes Loch in seine Schulter gerissen hatte und die Schmerzen groß sein mussten.
»Charvat!«, sagte Marie heiser und vergaß, dass sie nur mit einem verschmutzten Unterkleid bekleidet war und kaum noch ein Schatten ihrer selbst war. »Hattest du Gisla nicht genug Leid zugefügt?«
Jais, dessen Gesicht bei näherem Hinsehen von feinen Linien durchzogen war und der auf das fünfte Lebensjahrzehnt zuging, zog auf hässliche Weise die Mundwinkel herab, hob das Kinn und erwiderte: »Ich habe sie geliebt, als sie noch eine Hure war, aber sie hat mich verspottet und abgewiesen und lieber in der Gesellschaft von Gelehrten geglänzt, die in ihr nichts weiter als eine nach gesellschaftlicher Anerkennung geifernde Kurtisane sahen, die genug Geld mit ihrem Körper verdiente, um ihnen ein angenehmes Leben zu ermöglichen!« Er spuckte aus und erntete dafür einen Fußtritt von dem Soldaten, der ihn gepackt hielt.
Ruben ging zu Marie und schüttelte den Kopf, doch sie hatte das Gefühl, dass Jais noch mehr zu sagen hatte, denn jede Geschichte hatte zwei Seiten. »Das ist Unsinn! Sie hat ihr Leben freiwillig gewählt und schätzte Remigius und seine Freunde! Dich aber verachtete sie, weil sie deine wahre Natur erkannt hat!«
»Vielleicht hat sie das!«, erwiderte Jais laut. »Aber fragt Euch einmal, was für ein Mensch Euer vielgepriesener Oheim ist! Eine der schönsten Frauen Prags bietet ihm ihre Liebe und ein Leben im Reichtum, und er weist sie von sich, weil sie nicht gut genug ist für einen simplen Edelsteinschneider und erfolglosen Alchemisten. Stattdessen macht er sich an die Frau seines Bruders heran, bringt ihr nur Unglück, badet in Selbstmitleid und verbringt den Rest seines armseligen Lebens mit der vergeblichen Suche nach dem Stein der Weisen! Das nenne ich armselig und verkommen!«
Sprachlos sank Marie auf die Stiege. Hortense, ihre Mutter, war die Frau, die Remigius geliebt hatte? Daher rührte das jahrelange Schweigen zwischen ihrem Vater und Remigius!
»Bringt das Schwein weg und versorgt die Wunde, damit der Henker noch Freude an ihm hat!«, hörte sie Tulechow befehlen.
»Marie. Komm, wir wollen dich nach Hause bringen.« Ruben nahm ihren Arm.
Nach Hause? Wo ist das?, dachte Marie, deren Glaube an die Familie soeben in tausend Scherben zersprungen war.
XXXIII
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Der Schmerz nährt die Hoffnung
Ich will zeigen, wie man die falschen Edelsteine erkennen kann (…) zunächst wird das Gewicht berücksichtigt, denn die schwerern sind die ächten; dann die Kälte, denn die ächten zeigen sich im Munde
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