Blut und Kupfer
Tafel stand, und Marie sah, wie Remigius ängstlich eine Hand hob, sich besann und an seinem Platz verharrte. Auch dem Herzog war die Bewegung nicht entgangen. Er schien das Gespür eines Wolfes zu haben, wenn es um das Aufstöbern von seltenen Kunstwerken ging, und niemand hinderte ihn daran, als er den Stuhl zur Seite schob und seine Hand auf die Tafel legte. Seine gierige Klaue, dachte Marie, während die herzoglichen Finger an dem Tuch zerrten, bis eine Ecke der wertvollen Tafel zum Vorschein kam.
Maximilian stieß einen triumphierenden Schrei aus, der Marie erschauern ließ und ihrem Onkel den Atem nahm. Erschöpft sank Remigius auf einen Stuhl.
»Zeig Er mir die Platte!«, befahl Maximilian.
Remigius nickte matt, und Marie hob mit Rubens Hilfe die Tafel zurück auf den Stuhl. Als die prächtigen Farben der Steine im Licht glänzten, ging ein Raunen durch die Gefolgsleute.
Herzog Maximilians Augen funkelten Remigius böse an. »Das hat Er seinem Landesvater vorenthalten? Er weiß doch besser als andere, wie viel mir ein solches Werk bedeutet.«
»Durchlaucht, es hat eine besondere Bewandtnis mit diesem Stück, das erst kürzlich in meinen Besitz gelangte«, erklärte Remigius und hustete schwer.
Ungerührt begutachtete Maximilian die Tafel und strich behutsam über die feinen Reliefs der Schnittflächen, bis er zur Bildmitte kam, die ihn mehr als alles andere in Bann zu ziehen schien. Mit einem Mal hob er den Kopf und wandte sich an sein wartendes Gefolge. »Was glotzt ihr? Kümmert euch um das Essen. Danach wollen wir weiter. Er bleibt.«
Die Leute drängten sich folgsam die Treppe hinunter, lediglich ein Höfling blieb in der Tür stehen.
»Der alte Kraiberg. Immer für eine Überraschung gut. Schon damals hatte Er ein Gespür für besondere Steine. Glaubt Er, ich hätte vergessen, wem ich den herrlichen Opal verdanke, der den prächtigen Silberpokal schmückt?« Kopfschüttelnd wanderte der Blick des Herzogs zwischen dem begehrten Kunstwerk und seinem Besitzer hin und her. »Nennt meinem Kämmerer den Preis. Ich kaufe es.«
Sich ein letztes Mal prüfend umsehend tippte der Herzog beiläufig auf den Bezoar. »Den auch. Notier Er alles«, wies Maximilian den wartenden Kämmerer an und verließ den Raum.
Marie fing den verzweifelten Blick ihres Onkels auf und rang die Hände. Durch ihre Unachtsamkeit war es zu diesem unseligen Zwischenfall gekommen. Hätte sie doch nur die Tür verriegelt!
V
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Kindshändel
De Dracone … Wenn ein Mensch einen Stein in sich hat, soll er Drachenblut nehmen und es an einem feuchten Orte feucht werden lassen, dann in reinem, klarem Wasser eine knappe Stunde liegen lassen … Das Blut soll er dann wieder herausnehmen und das Wasser nüchtern trinken.
Hildegard von Bingen (1098–1179),
»Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum«
M arie fluchte, als sie ihren durchnässten Stiefel aus dem stinkenden Morast zog, der den Hof fast vollständig bedeckte. Auf Langenau wäre das nicht möglich gewesen, denn Werno hatte genügend Knechte eingestellt, die ständig damit beschäftigt waren, Haus und Grund in makellosem Zustand zu halten. Sorglos und großzügig, als gäbe es kein Morgen, hatte ihr verstorbener Gatte das Geld ausgegeben. Das Ende war ihr nur zu bewusst. Aras schnupperte und kratzte an einem Holzhaufen. Ratten, dachte Marie. Die widerlichen Viecher überlebten selbst den härtesten Frost und konnten sogar schwimmen. Doch sie wusste auch, dass es bei den armen Leuten normal war, die dünne Suppe mit Rattenfleisch anzureichern. Marie hob ihren Rock und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um nicht wieder von den Bohlen zu gleiten, die bis zum Haupteingang gelegt waren, damit die Herrschaften möglichst trockenen Fußes dorthin gelangten.
Es war nicht vorgesehen, dass eine Dame von Stand allein umherstreifte, doch wer sollte sie hier auf Kraiberg kompromittieren? Ihre Familie hatte eigene Sorgen, und der ennuyante Doktor Kranz war zusammen mit dem Herzog nach München gereist. Ein Heiratsantrag war ihr erspart geblieben. Erneut verlor sie den Halt und rutschte von den glitschigen Brettern.
»Himmel!«, entfuhr es ihr. Überhaupt waren ihre Gedanken düsterer Natur. Die Begegnung mit Herzog Maximilian I. von Bayern verfolgte sie wie ein böser Alptraum, nur war sie bittere Realität und damit um ein Vielfaches bedrohlicher. Ein Landesherr musste nicht leutselig sein, weiß Gott nicht, doch alles, was sie über den Herzog wusste,
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