Blut und Kupfer
Kapuzinerkloster oberhalb des Neuhauser Tores?«
»Ja, ich denke, das wird es sein.«
Georg schien weniger begeistert. »Was führt denn der Alte im Schilde? Seid Ihr jetzt zu seinem Laufburschen geworden, Marie?«
»Er ist krank, sehr krank, Georg. Und wenn ich ihm noch einen Gefallen tun kann, dann mache ich das selbstverständlich.«
»Christliche Nächstenliebe, Eure Schwester geht Euch mit gutem Beispiel voran.« Anselm lächelte.
Gemeinsam verließen sie die Residenz. Sankt Anton lag einige Straßen westlich der Residenz an der Stadtmauer, die an vielen Stellen aufgebrochen war. »Unsere Stadt bekommt eine richtige Befestigungsanlage«, erklärte Anselm die Bauarbeiten. »Ich kann nur hoffen, dass wir sie nicht brauchen.«
Der Spaziergang durch die betriebsamen Gassen des Creutz-Viertels ließ die erdrückende Atmosphäre der Residenz verblassen. Frauen trugen schwer an Körben voller Brotlaibe und Wintergemüse, ihre Kinder am Rockzipfel hinter sich herziehend. Auch wenn die Kleinen schmutzig und zerlumpt waren, so hatten sie doch zu essen. Marie wandte den Blick von einem verkrüppelten Mann, der aussah, als hätte er keinen Unterleib, und seinen Oberkörper auf einem Holzbrett mit den Händen durch den Straßenkot schleppte.
»Habt Ihr das gesehen?«, flüsterte Vroni.
Anselm drehte sich zu dem jungen Mädchen um. »Von diesen armen Geschöpfen gibt es viele in der Stadt. Sie leben von dem, was die anderen fallen lassen, aber hier geht es ihnen besser als auf den Dörfern, wo sie als Teufelsbrut ersäuft oder zu Tode geprügelt werden. Seht, dort vorn das Kirchlein, das ist Sankt Anton.«
Ein schlichtes Gebäude, das nur sein Glockenturm als Kirche auswies, stand inmitten eines vernachlässigten Gartens, der von einer niedrigen Steinmauer umgeben war. Im warmen Nachmittagslicht hockten darauf zwei Mönche in braunen Kutten, die von einem Strick gehalten wurden. Die spitzen Kapuzen waren das Kennzeichen ihres Bettelordens. Die Kirche und die angrenzenden Klostergebäude befanden sich noch außerhalb der alten Stadtmauer, doch die neue Befestigungsanlage war auch hier bereits in Arbeit, und nach ihrer Fertigstellung würde sich das Kapuzinerkloster in den Schutz eines gewaltigen Mauerrings schmiegen.
»Vor etwas mehr als siebzehn Jahren hat Maximilian die ersten Kapuziner aus Venedig nach München geholt und ihnen diese Kirche gebaut. Sie sind sehr beliebt beim Volk«, erklärte Anselm und faltete die Hände vor dem Körper, um die Ordensbrüder zu grüßen. »Sie leben in völliger Besitzlosigkeit, verzichten auf Vorräte und beschränken sich auf das Allernotwendigste im täglichen Leben. Ihre Solidarisierung mit den Armen und Kranken ist vorbildlich.«
Der jüngere der beiden Mönche erhob sich. »Gott mit Euch. Wollt Ihr unser bescheidenes Gotteshaus besuchen? Bitte, ich zeige es Euch gern.«
Remigius’ Worten eingedenk, wartete Marie mit ihrem Anliegen auf eine passende Gelegenheit, denn Melchior Janus lebte hier unter anderem Namen, und wenn er keinen Kontakt wünschte, war ihr Besuch vergeblich. Das Kircheninnere war einfach ausgestattet, doch vermittelte es dem Besucher ein Gefühl von Geborgenheit, dachte Marie und entdeckte eine ins Gebet versunkene Frau auf einer Bank. Der Kapuzinermönch deutete auf den Altar, der von einem hölzernen Triptychon geschmückt wurde.
»Der Herzog ist ein großzügiger Förderer unseres Ordens, und wir vergelten es ihm, indem wir uns um die Armen, Kranken und Schwachen kümmern. Jeder Ordensbruder hat sein ganzes Sein in Gottes Dienste gestellt. Verzeiht, Thomas ist mein Name.«
Pater Anselm stellte sich und die anderen vor und fügte hinzu: »Wenn es das Schicksal nicht anders bestimmt hätte, wäre ich auch zu euch gekommen, Bruder Thomas. Es scheint mir, dass ihr dem Herrn ehrlicher dient als manche von uns.« Verträumt sah Anselm sich in der kleinen Kirche um. »Ja, hier ist Gott zu Hause …«
»Anselm, nicht, dass du mir abtrünnig wirst …«, sagte Georg halb im Scherz und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.
Thomas wandte sich an Marie. »Hattet Ihr ein Anliegen, oder seid Ihr zufällig zu uns gekommen?«
Er hatte die Kapuze zurückgeschlagen und zeigte seinen rasierten Schädel. Wie alle Kapuziner trug er einen Vollbart, der wenig von seinem kantigen Gesicht preisgab.
»Ja, ich bin auf der Suche nach einem Eurer Brüder. Er ist ein Gelehrter, ein Freund meines Oheims. Ich weiß nicht, welchen Ordensnamen er angenommen
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