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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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bewegte sich nicht.
    »Man wird Euch vermissen. Er wird nach Euch suchen.«
    »Tulechow? Er hat andere Dinge, um die er sich kümmern muss.« Die Gefahr, entdeckt zu werden, steigerte sich mit jedem Augenblick, den sie länger in dem Kabinett verweilten, doch Marie wollte ihn nicht gehen lassen, noch nicht.
    »Ich kann ihn verstehen.«
    Als sie ihren Mund zu einer Erwiderung öffnete, beugte er sich vor, und das Nächste, was sie fühlte, waren seine Lippen, die erst zärtlich, dann fordernd nach ihren tasteten, bis sie den Kuss erwiderte und ihre Arme um seinen Körper schlang. Sie hatte nur einen Mann gekannt, und Wernos Berührungen hatten nie vergleichbare Sehnsüchte in ihr ausgelöst. Ruben strich ihr über den Nacken, seine Hände glitten über die Rundung ihrer Schultern, und Raum und Zeit verloren an Bedeutung. Plötzlich machte er sich von ihr los und starrte sie atemlos an.
    »Verzeiht, ich habe kein Recht, Euch in Gefahr zu bringen.«
    Sie fühlte sich zurückgestoßen, suchte taumelnd nach Halt und griff nach der Sessellehne. »Es war Euer Tun so gut wie das meine. Wie kommt Ihr zu der Truppe, wer seid Ihr wirklich?«
    Eine Wolke schob sich vor den Mond, und es wurde dunkel in dem Kabinett. Sie hörte, wie der Türknauf gedreht wurde.
    »Ich bin ein Niemand, und das solltet Ihr nie vergessen.«
    Für Sekunden brach das Licht aus dem Korridor herein und zeichnete Rubens Konturen scharf gegen das Dunkel ab. Die Tür fiel ins Schloss, und sie war allein mit sich und ihrem aufgewühlten Innern. »Wie könnte ich Euch vergessen, Ruben Sandracce oder wer auch immer Ihr seid …«

XIV
    • •
    Verlockte und verratene Sünder

    … als ob nicht die Finsternis der Nächte der Hälfte
    unseres Lebens die Freuden raubte!
    Caius Plinius Secundus, »Naturgeschichte«,
    XXXVI. Buch, »Von den Steinen«

    I m Speisesaal drängten sich die Menschen um zwei üppig befüllte Buffets. Marie hatte das Kabinett kurz nach Ruben durch die andere Tür verlassen und mischte sich unter die hungrigen Gäste, die neugierig die aufgetragenen Köstlichkeiten begutachteten. Tulechow hatte nicht an Aufwand gespart und Ochsenzungenpastete, Hase in Kapernsauce, marinierte Rehkeule, Pflaumenmus, Beerenkompott, Krebse in Apfelsauce, Karotten und anderes Gemüse, dessen Namen sie nicht einmal kannte, auftischen lassen.
    Suchend glitt ihr Blick über die lebhaft nach Tellern und Schüsseln greifenden Gäste.
    »Darf ich Euch behilflich sein? Möchtet Ihr die gefüllten Wachteln kosten oder die Krebse?«, erbot sich Hainhofer, der Kunsthändler.
    »Ich bin nicht hungrig, danke. Habt Ihr meinen Bruder gesehen?« Georg und Anselm waren doch in den Speisesaal gegangen. Warum waren sie nirgends zu finden?
    Hainhofer liebäugelte bereits mit der Rehkeule und ließ sich auch eine Scheibe Pastete dazulegen. »Nein. Vielleicht weiß es ja unser Gastgeber. Er kommt gerade herein.«
    Marie drehte sich um. Mit finsterer Miene steuerte Tulechow direkt auf sie zu, winkte ab, wenn ihn jemand ansprach, und als er sie erreichte, sagte er leise: »Bitte folgt mir. Es hat einen unangenehmen Zwischenfall gegeben.«
    Ihr Herz raste. »Was ist geschehen?«
    »Euer Bruder, Frau von Langenau. Nun, er hat sich kompromittiert. Bitte.« Er hielt ihr den Arm hin.
    Die Leute schauten sie bereits neugierig an, und Marie folgte Tulechow, ohne weitere Fragen zu stellen. Erst als sie den Saal verlassen hatten und ans Ende des Korridors gingen, wo ein Lakai vor einer Tür postiert war, konnte Marie ihre Angst nicht länger bezwingen. »Um Gottes willen, was ist denn nur geschehen?«
    Tulechow schüttelte den Kopf. »Nicht vor dem Gesinde.«
    Der Lakai öffnete ihnen die massive Holztür und schloss sie sofort hinter ihnen. Ein intim eingerichteter Salon empfing sie mit schweren Brokatvorhängen, Bücherregalen und einer Reihe von antiken Bronzegüssen – athletische Männerfiguren und Frauenkörper in lasziven Posen –, und in einer Ecke stand ein Tagesbett, auf dem der weinende Pater Anselm hockte. Georg stand hinter ihm und redete leise auf ihn ein.
    »Georg!«, rief Marie und eilte zu ihm, doch ihr Bruder wich vor ihr zurück.
    »Geht! Lasst uns allein, Ihr habt mit dem hier nichts zu schaffen. Tulechow, bringt sie fort, warum …?«, rief Georg in äußerster Verzweiflung.
    Der Hausherr räusperte sich und schob Marie einen Stuhl hin. »Bitte, nehmt Platz. Nein, Herr von Kraiberg. Eure Schwester sollte erfahren, was Ihr treibt, wenn Ihr glaubt, unter Euresgleichen zu

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