Blut und Silber
aufgeben, bevor er restlos gesiegt hatte.
Hier geht es jetzt nicht nur um Thüringen oder die Mark Meißen, dachte Ulrich beklommen. Von nun an geht es um unser aller Leben und Tod. Es war
eine
Sache, eine Fehde mit diesem oder jenem Adligen zu führen oder eine Stadt zu verteidigen. Aber ein Heer gegen den von Gott gesalbten habsburgischen König aufzustellen war so ungeheuerlich, dass sogar ihm mulmig zumute wurde.
Wie sollte das enden? Gab es für sie überhaupt noch eine andere Aussicht als den Tod? Mit einem Mal fiel ihm die Alte ein, die ihm auf der Prager Burg zugeraunt hatte: »Hütet Euch vor dem Einäugigen!« Er hatte sie bis eben vergessen, doch plötzlich war ihm, als stünde sie unsichtbar hinter ihm. Hastig bekreuzigte er sich.
»Ulrich, reitet mit Markus von Freiberg und noch ein paar Vertrauten los, sammelt alle Kämpfer aus den Orten, die uns noch in Meißen gehören, und führt sie hierher. Ich« – Friedrich verzog den Mundwinkel leicht nach unten – »werde wohl persönlich meinen Bruder aufsuchen müssen, um ihn dazu zu bringen, jeden Zwist beizulegen und sich uns anzuschließen. Schließlich geht es auch um
sein
Erbe.«
Um dieses Familientreffen beneide ich ihn nicht, dachte Ulrich. Die aus der Not geborene Einheit der Brüder war erneut zerbrochen, als Diezmann einige Zeit später tatsächlich die Lausitz verkaufte – an den Erzbischof von Magdeburg, der sie umgehend für viel Geld dem Markgrafen von Brandenburg überließ.
»Bleibt die Frage: Was machen wir mit den zwei Komturen? Was machen wir mit Eisenach?«, unterbrach Friedrich Ulrichs Gedanken. »Wir müssen verhindern, dass mein Vater den Ordensbrüdern die Burg ausliefert. Wie können wir das, ohne gegen den Befehl des Königs zu verstoßen und uns den Zorn des Deutschritterordens zuzuziehen? Wisst Ihr, wen der König zu uns sendet?«
Die letzte Frage war direkt an Herrmann von Goldacker gerichtet.
Auf dem schmalen Gesicht des Marschalls zeichnete sich ein kaltes Lächeln ab. »Das ist die einzige gute Nachricht, die ich Euch bringen kann. Er schickt den Komtur von Speyer, Berthold von Gepzenstein, einen auf Ausgleich bedachten Mann, und Helwig von Goldbach.«
Für einen Moment löste sich die Anspannung bei Friedrich, deutlich hörbar atmete er auf. »Das … könnte uns einen Weg aufzeigen.«
Helwig von Goldbach, inzwischen Komtur vom Rotenfurt, entstammte einer Familie thüringischer Ministerialer. Er hatte noch vor Jahresfrist gemeinsam mit Friedrich Urkunden bezeugt und war bereit zu Kompromissen, wenn sich dadurch Blutvergießen vermeiden ließ.
»Euer Vater wusste keinen Ausweg, als der König diesen Eid von ihm forderte«, fuhr Herrmann von Goldacker fort. »Doch ihm ist klar, dass er nach seiner Rückkehr Ärger mit Euch bekommen wird, und er fürchtet sich vor der Konfrontation. Vor
jeder
Konfrontation, wie Ihr wisst.«
Der für seine Kaltblütigkeit berüchtigte Marschall konnte es wagen, in dieser Runde derart unverblümt zu sprechen.
Er mochte manchem unheimlich sein, aber Friedrich vertraute auf seine Loyalität. Vor zwei Jahren hatte Goldacker als Heerführer des Landfriedensaufgebotes gegen den Burggrafen von Kirchbach genug Entschlossenheit und militärische Durchsetzungskraft bewiesen, um den Grafen, unter dessen Übergriffen ein ganzer Landstrich litt, binnen weniger Wochen in die Knie zu zwingen und seine Burgen zu schleifen.
»Also suchte der Landgraf meinen Rat«, sagte Goldacker und verschwieg taktvoll, dass Albrecht von Wettin tränenüberströmt zu ihm gekommen war. Allein der Anblick des weinenden Greises hätte genügt zu verstehen, dass dieser Mann einem so unerbittlichen Herrscher wie dem Habsburger nichts entgegenzusetzen hatte. Es kostete Goldacker erhebliche Mühe, langes Zureden und diesen und jenen Becher Wein, bis sich der Landgraf endlich halbwegs gesammelt hatte und zu der alten Verschlagenheit zurückfand, mit der er sich jedes Mal aus den Abgründen herauszuwinden suchte, in die ihn seine Wankelmütigkeit immer wieder stürzte. So wurden sie sich einig, dass hier nur eine List helfen konnte.
»Im Auftrag Eures Vaters sprach ich unter vier Augen mit den Ordensrittern«, berichtete der Marschall weiter. »Goldbach und Gepzenstein sind bereit, in Eisenach Quartier zu nehmen und dort zunächst zu den Wirkungsstätten der heiligen Elisabeth zu pilgern. Eine großzügige Spende an beide Komtureien sollte uns ihre Geduld zusichern, wenn Euer Vater sie dann mit Ausflüchten
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