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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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ehelichen Schlafzimmer gab es auf dieser Etage zwei Bäder, ein Gästezimmer und einen weiteren Raum, den Madame Bresson als Bügelzimmer genutzt hatte. Laura blickte flüchtig nach den Türen, die alle geschlossen waren. Ob Mia diese Zimmer nutzte? Vielleicht hatte sie ein paar von ihren Bildern dort untergebracht. Oder ... Laura stutzte. Für einen flüchtigen Moment glaubte sie, hinter einer der Türen ein leises Rascheln zu hören. Nein, eher ein Kratzen, das sie nicht einordnen konnte. Sie überlegte, ob sie nachsehen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Für heute hatte sie definitiv genug! Genug Blütenduft, genug Sahnetorte, genug Milchshake. Von allem mehr als genug!
    Die Treppe war viel steiler, als Laura sie in Erinnerung hatte, und mit jeder Stufe wurde der Koffer an ihrem Armschwerer. Sie blieb ein paar Mal stehen und wechselte die Seite, wobei sie ängstlich lauschte, ob ihre Schwester ihr nicht vielleicht doch folgte. Aber auf der Treppe unter ihr blieb alles still. Und auch das Geräusch, das sie gehört hatte, wiederholte sich nicht.
    Wo mochte Mia hingegangen sein? In die Mordküche, zum Abwaschen? Aber warum war es dann so verdammt still dort unten? Das ganze Haus war erfüllt von einem eigenartigen, tiefen Schweigen, das sich mit jeder Stufe, die Laura höher stieg, noch zu verdichten schien. Fast so, als habe irgendeine böse Fee einen Bann über das Gebäude gesprochen. Die Assoziation verstärkte Lauras Unbehagen, und die Aussicht, ein Zimmer zu erreichen, dessen Tür sie hinter sich abschließen konnte, bekam etwas geradezu Magisches. Von den letzten Stufen nahm sie trotz des Trolleys immer zwei auf einmal, und sie blieb erst stehen, als sie schwer atmend den obersten Treppenabsatz erreicht hatte.
    Linkerhand befand sich Mias Zimmer, oder vielmehr das Zimmer, in dem Mia geschlafen hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Daneben gab es ein weiteres Gästezimmer und am Ende des Treppenabsatzes ein kleines Bad, das jedoch schon früher nur selten benutzt worden war. Laura hätte nicht einmal sagen können, welche Farbe die Fliesen hatten, mit denen es gekachelt war. Sie zog den Griff des Trolleys heraus und wandte sich nach rechts. Der Raum, in dem sie neunzehn Jahre ihres Lebens geschlafen hatte, befand sich gleich gegenüber der Treppe. Sie hatte nur vage Erinnerungen an die Einrichtung, aber als sie die Klinke hinunterdrückte und die Tür sich ins Innere des Zimmers öffnete, brach die Vergangenheit mit einer solchenUrgewalt über sie herein, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
    Das schwere, weiß lackierte Eisenbett stand genau so, wie sie es zurückgelassen hatte. Eine dunkelblaue wollene Tagesdecke war darüber gebreitet. Darunter zeichnete sich Bettzeug ab. Ein Federbett. Kissen. Gut und schön. Aber was war mit dieser komischen Wolldecke? Hatte es diese Decke bereits gegeben, als sie in diesem Haus gelebt hatte? Lauras Hand strich über das raue Gewebe, aber auch die Berührung brachte kein Erinnern. Dabei war sie doch erst vor kurzem zu dem Schluss gekommen, dass es vor allem die unwichtigen Dinge waren, an die man sich erinnerte. Und eine blaue Wolldecke war doch unwichtig, oder nicht? Laura wuchtete den Trolley aufs Bett. Auf dem Nachtschrank saßen ihre alten Puppen. Nellie thronte in der Mitte in ihrem besten grünen Brokatkleid und glotzte sie aus hohlen Murmeläuglein an. Da bist du also wieder, schien ihr Blick zu sagen, und die leicht vorgestülpten roten Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. Habe ich's doch gewusst, dass du eines schönen Tages wieder hier landest!
    Laura versuchte, ihrem Blick auszuweichen, während sie einen ziemlich zerknitterten Leinenrock aus dem Koffer zog. Sie hatte das Gefühl, lauter falsche Sachen eingepackt zu haben, was in erster Linie daran lag, dass sie gar keine »richtigen« Sachen für einen Aufenthalt am Meer besaß. Seit fünfzehn Jahren vermied sie es konsequent, Kleidungsstücke zu kaufen, denen man auch nur im Entferntesten eine gewisse Wetterbeständigkeit unterstellen konnte. »Wasserfest« oder »windabweisend« waren Prädikate, um die sie seit ihrer Flucht von der Insel einen weiten Bogen machte,nicht zuletzt deshalb, weil sie sich schon als Kind darüber geärgert hatte, dass die wenigen Kleidungsstücke, die ihre Eltern ihr gekauft hatten, immer auch einen praktischen Nutzen haben mussten. Darin kannst du ruhig auch mal nass werden ... Gott, wie sie diesen Satz gehasst hatte! Sie wollte nicht nass

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