Blut Von Deinem Blute
ist. Und ihre Schwester war verrückt, sie musste verrückt sein.
»Ich weiß auch nicht, warum die Leute immer so schrecklich argwöhnisch sind gegen alles, was ich ihnen anbiete. Auf den Meetings«, Mia kicherte wie ein Kind, das ein verbotenes Wort gesagt hat, »Ryan nennt es so, weißt du, Meetings. In der Praxis bedeutet das, dass wir uns alle an den großen Tisch im Büro setzen, und er erwähnt eine Menge Zahlen und hat natürlich alles sehr gut vorbereitet und einen Riesenstapel Kopien dabei, sodass ich es eigentlich nur noch unterschreiben müsste, aber das mache ich natürlich nie, und dann wird er furchtbar wütend und sieht Cora an, und Cora erklärt mir alles noch mal von vorn, warum es nötig ist, die Toiletten im zweiten Stock ganz in Weiß zu fliesen und den Seebarsch fünfzig Pence teurer zu machen, weil er so gut geht, und all diese Dinge. Das ist immer sehr lustig. Aber ...« Sie unterbrach sich. »Warum erzähle ich dir das? ... Ach ja, richtig, ich wollte sagen, dass Ginny den Saftkrug nicht mehr anrührt, sobald ich ihn in der Hand hatte. Sie trinkt dann lieber den ganzen Abend keinen Schluck mehr, obwohl du siehst, dass ihr die Zunge bereits am Gaumen festklebt.« Sie lachte laut auf. Ein heiseres, bösartiges Lachen. »Meinst du, sie denkt auch, dass ich sie vergiften will?«
»Ich denke nicht, dass du mich vergiften willst.«
»Nicht?«
»Nein.« Laura holte tief Luft und nahm dann todesmutigeinen Schluck aus ihrem Becher. Es war tatsächlich kein Alkohol, aber wie Wasser schmeckte die farblose Flüssigkeit, die ihre Schwester ihr eingeschenkt hatte, eigentlich auch nicht.
»Und?«, erkundigte sich Mia mit blitzenden Augen. »Schmeckt's?«
Laura ignorierte die Frage. »Wie geht es Ryan?«, versuchte sie stattdessen, das Gespräch wieder in unverfänglichere Bahnen zu lenken.
Ihre Schwester verzog das Gesicht. »Er wird mit jedem Jahr fetter.«
Na, da spricht ja gerade die Richtige!, dachte Laura bei sich. Laut sagte sie: »Ich habe den neuen Frühstücksraum bestaunt, als ich kam. Sieht gut aus mit den größeren Fenstern.«
»Findest du?« Mia schien ehrlich überrascht zu sein. »Und ich dachte, du arbeitest in der Werbung.«
»Ja und?«
»Brauchst du für den Job denn so gar keinen Sinn für Ästhetik?«
Ja, dachte Laura, du mich auch! Wenn es ihr nur bald gelänge, sich irgendwohin zurückzuziehen! Schließlich war sie nicht gekommen, um sich von ihrer durchgeknallten Schwester beleidigen zu lassen!
»Also mir persönlich ist das Ding viel zu groß und unproportioniert«, verkündete Mia unterdessen. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und wippte unaufhörlich mit der linken Fußspitze. Die Bewegung schien etwas Unbewusstes, Zwanghaftes zu haben, denn sie hörte auch nicht damit auf, wenn sie sprach. »Das ganze verdammte Haus sieht jetzt aus, als wäre es schwanger.«
Laura starrte sie an.
Hat sie das mit Absicht gesagt?
»Fast wie ein Abszess, findest du nicht?« Mia trank den Rest der Flüssigkeit aus ihrem Becher in einem Zug aus und schenkte sich umgehend wieder nach. »Ein Frühstücksraumabszess.« Jetzt lachte sie aus voller Kehle. »Du hast dem zugestimmt, nicht wahr? Dem Abszess.«
Laura konnte nur nicken. Sie hatte sich die Entwürfe für den Anbau nicht eine Sekunde lang angesehen. Das Hotel und alles, was damit zusammenhing, war ihr schon immer vollkommen gleichgültig gewesen. Von ihr aus konnte Ryan es rosa anmalen. Oder abreißen. Ein Frühstücksraumabszess ...
»Das hättest du nicht tun sollen«, befand Mia streng. »Zustimmen, meine ich. Es sieht nicht gut aus, wie es jetzt ist. Und Vater hätte sich bestimmt ...«
»Vater ist tot«, fiel Laura ihr ins Wort. »Jetzt entscheiden wir.«
Ihre Schwester lehnte sich zurück und verschränkte in einer provozierenden Geste die Arme vor der Brust. »Oh, da bin ich mir nicht so sicher.«
»Was meinst du? Dass wir entscheiden?«
Doch Mia antwortete nicht. Mit unscharfem Blick stierte sie an Laura vorbei und schwieg.
Laura überlegte, ob sie ihre Frage wiederholen sollte, kam jedoch zu dem Schluss, dass das wenig Sinn hatte. Von Zeit zu Zeit schien ihre Schwester in einen Zustand geistiger Abwesenheit zu verfallen, etwas, das Laura geradezu fatal an ihre Mutter erinnerte. Du solltest machen, dass du in dein Zimmer kommst, dachte sie unbehaglich, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund wagte sie es nicht, einfach aufzustehen.
Also entschied sie sich spontan, in die Offensive zu gehen. Irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher