Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)
war, wollte er ihm sehr wohl etwas tun. Der Mann war unhöflich. Abweisend. Fett, faul und desinteressiert. Im Dienst mit seiner eigenen Krawatte erdrosselt zu werden wäre wahrscheinlich das Beste, was ihm je passiert war.
» Es geht um meinen Onkel « , flüsterte Jazz heiser, dann legte er die Stirn an die Scheibe, als brauchte er die Unterstützung.
Onkel. Nicht Eltern oder Geschwister. Die engste Familie war das, was zu erwarten war. Betrüger wussten, dass die Leute bei der unmittelbaren Familie emotional reagierten, deshalb gründeten sie ihre Lügen auf die Kernfamilie. Ein guter Wachmann würde bei so einer Behauptung hellhörig werden. Jazz wusste nicht, ob dieser Wachmann hier etwas taugte – er vermutete, eher nicht –, aber wie Billy immer sagte: Geh davon aus, dass jeder verdammte Bulle auf der Welt ein Sherlock Holmes ist, dann tust du nie etwas Dummes.
» Ich weiß, dass Sie mir nicht helfen können « , sagte Jazz mit stiller Heftigkeit. » Ich weiß es. Aber würden Sie mir wenigstens zuhören? Dann können Sie mir vielleicht sagen, wie ich weiter vorgehen soll. « Jetzt ließ er seine Stimme leicht beben; es klang fast quengelnd.
» Ich kann nichts für dich tun « , wiederholte der Wachmann. » Du brauchst einen Code, um hereinzukommen. « Aber seine Stimme hatte sich verändert, wenn auch nur ein wenig. Eine winzige Spur Neugier lag jetzt in ihr. Der erste kleine Riss im Gewebe.
» Mein Onkel « , sagte Jazz. » Er ist nämlich tot, was aber nichts macht, denn er war ein ziemlicher Wichser, okay? « Eine weitere überraschende Wendung. Der Wachmann erwartete eine rührselige Geschichte. Ach, mein geliebter Onkel ist tot, und er wollte immer, dass ich seine Sammlung seltener portugiesischer Radiergummis bekomme! Bitte, Sir, lassen Sie mich hinein. » Niemand mochte ihn. Aber das Problem ist, dass er diese Sammlung seltener Comics hatte, ja? Und meine Mom ist jetzt auf dem Weg hierher, um sie zu holen. «
Jetzt hatte er die Mutter ins Spiel gebracht, der Wachmann würde wieder argwöhnischer werden, deshalb musste Jazz rasch weitererzählen und die Lüge festklopfen.
» Sie trinkt « , sagte Jazz. Er hatte ursprünglich daran gedacht, sie als rauschgiftsüchtig auszugeben, aber nun schien ihm Trinken besser geeignet. Es war nicht ganz so dramatisch und deshalb glaubhafter. » Und wenn sie diese Comics in die Hände bekommt, wird sie sie für eine Stange Geld verscherbeln und sich Schnaps dafür kaufen. «
» Also lasse ich dich rein, und du rettest deine Mutter vor sich selbst, hast du das im Sinn? « Sein Tonfall war sarkastisch, ungläubig.
» Ich will nur das Schloss auswechseln « , sagte Jazz. Er hielt einen Schlüssel und ein kleines Vorhängeschloss in die Höhe, das er vorhin in der Eisenwarenhandlung gekauft hatte. » Da drin sind um die zweitausend Comichefte. Die könnte ich unmöglich alle rausschleppen. Und der Regen würde sie sowieso ruinieren. Ich will nur das Schloss auswechseln, damit sie nicht hineinkommt. Dann können meine Schwester und ich sie nächste Woche vielleicht wieder in die Entzugsklinik bringen und uns überlegen, wie es weitergehen soll. Ich versuche nur, uns ein bisschen Zeit zu gewinnen, verstehen Sie? «
Der Wachmann schnaubte verächtlich. » Und vielleicht die wertvollsten Comics klauen, wenn du schon mal da bist. «
» Ich wüsste nicht einmal, welche ich nehmen müsste « , sagte Jazz vollkommen ernst. » Sie können ja mitkommen, wenn Sie wollen. Schauen Sie ruhig zu. Ich tausche nur ein Schloss « , er hielt den Schlüssel in die Höhe, » gegen ein anderes. « Er hielt das Vorhängeschloss hoch. » Es dauert fünf Minuten. «
Der Wachmann zögerte. » Ich darf meinen Platz nicht verlassen. « Erleichterung. Er musste keine persönliche Entscheidung fällen – er konnte sich einfach auf die Vorschriften berufen.
Sie befolgen ihre Regeln. Sie beten ihre Regeln an, sagte Billy. Und das ist ihr Verhängnis. Weil wir nämlich einen feuchten Dreck auf die Regeln geben.
» Dann zum Teufel mit Ihnen! « , schrie Jazz, der jetzt plötzlich kochte vor Wut und Verzweiflung. Er beugte sich vor und ließ den Wachmann zum ersten Mal sein Gesicht sehen, das verzerrt war vor Schmerz und Wut; aus den Augenwinkeln liefen ein paar heiße Tränen. » Zum Teufel mit Ihnen und allen andern. «
Leg sie herein. Lass sie glauben, sie kennen die Regeln, nach denen das Gespräch läuft. Gib ihnen das Gefühl, sie sitzen am längeren Hebel, und du bist der
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