Blutbahn - Palzkis sechster Fall
Überraschung: Dietmar Becker. Eigentlich war es keine Überraschung, denn
der Student war in dieser Geschichte längst überfällig.
»Guten Tag,
Herr Palzki«, begrüßte er mich und nickte gleichzeitig Gerhard zu. »Wie geht’s Ihnen
denn?«
Bevor ich antworten
konnte, fiel mir Jutta ins Wort. »Rate einmal, wo wir deinen Freund aufgegabelt
haben. Jürgen und ich haben uns noch einmal die Unterführung am Hauptbahnhof angeschaut.
Als wir in der Dannstadter Straße standen, dort, wo die Unterführung endet und die
Pechhüttenstraße quer zur Dannstadter Straße verläuft, kam uns Herr Becker mit einem
Fotoapparat entgegen. Wenn das mal kein Zufall ist.«
Ich fixierte
Becker mit meinen Augen.
»Na, dann lassen Sie mal hören,
was Sie bereits über diese Sache in Erfahrung gebracht haben. Soviel ich weiß, gibt
es bisher keine offizielle Stellungnahme. Aber das hat bei Ihnen nichts zu sagen.
Ich höre?«
Der Student blickte verlegen zu
Boden. »Ich kann doch auch nichts dafür, Herr Palzki. Das ist nur ein blöder Zufall.«
»Ja, ja, auch Dr. Metzger war nur
zufällig vor Ort.«
»Ich weiß, wir haben ihn auf dem
Bahnsteig herumlaufen sehen.«
»Wie bitte?«, riefen Gerhard, Jutta
und ich gleichzeitig. »Sie haben uns beobachtet?«
Der Student lief rot an. »Aber ohne
Absicht, das müssen Sie mir glauben.«
»Langsam«, bremste ich unser aller
Wissbegier. »Das müssen wir systematisch machen. Wenn wir Ihnen die Würmer einzeln
aus dem Mund ziehen, sind wir morgen noch nicht fertig.«
Wir setzten uns zu viert an Juttas
Besprechungstisch. Becker schaute sich um. »Ist Herr Diefenbach heute da?«
»Wollen Sie wieder auf Ihrer Pressetour
reiten? Dieses Mal kann er für Sie keine inoffiziellen Informationen rausrücken
und ich tu es auch nicht. Die letzten Male habe ich deswegen fast meinen Job verloren.«
Ich hatte keine Ahnung warum, aber
in dieser unpassenden Situation drückte sich wieder mein unbändiger Hunger durch.
»Haben wir ein paar Kekse, Jutta?
Dann können wir es uns so richtig gemütlich machen, während Herr Becker seine Abenteuer
erzählt.«
Jutta schüttelte den Kopf. »Der
Monat ist zwar erst wenige Tage alt, aber das Monatskontingent an Keksen für die
Mitarbeiter ist bereits erschöpft. KPD hat den Etat des Mitarbeitermotivationsprogrammes
zugunsten seiner Lachsbrötchen etwas umdisponiert. Trink doch einfach einen Kaffee,
Reiner. So dickflüssig wie der ist, hilft er auch gegen Hunger.«
Ich konnte widerstehen und wandte
mich unserem Gast zu. »Jetzt reden Sie endlich. Was haben Sie gestern gesehen und
warum? Und was hatten Sie heute am Tatort zu suchen?«
»Ich war gar nicht am Tatort«, versuchte
er sich zu verteidigen.
»Aber in der Nähe, und ich nehme
an, dass Sie dorthin wollten.«
»Nein, Sie sehen das falsch, Herr
Palzki. Ich wollte nur zu meinem Wagen, der auf dem Parkplatz am Bahnhof steht.«
Zack, da hatte ich ihn der ersten
Lüge überführt. »Herr Becker, wie lange kennen wir uns? Ich weiß nur zu gut, dass
Sie zwar einen Führerschein haben aber kein eigenes Fahrzeug.«
»Ja«, druckste er herum. »Das stimmt.
Es ist nicht mein eigener Wagen. Aber zum Parkplatz wollte ich trotzdem.« Er setzte
sich gerade hin und strich seine Jeans glatt, als ob dies einen Unterschied machen
würde. »Ich erzähle Ihnen alles von Anfang an.«
»Na endlich«, meinte Gerhard, der
sich wie Jutta mit einem Block bewaffnet hatte.
Becker versuchte zu lächeln. »Als
diese Sache am Bahnhof passierte, war ich bei einem Bekannten in der Dannstadter
Straße zu Besuch. Wie Sie wissen, ist das die Straße, die auf der anderen Seite
des Bahnhofs beginnt.«
»Welches Haus?«, wollte ich wissen.
»Das große Eckhaus zur Pechhüttenstraße.«
»Meinen Sie das ehemalige Raiffeisenlager?«
»Nein, das ist hundert Meter weiter
in der Pechhüttenstraße. Ich meine die alte Möbelfabrik direkt an der Ecke zwischen
Bahnunterführung und den Bahngleisen.«
Jetzt wusste ich, was er meinte.
Bis vor ungefähr dreißig Jahren residierte in dem riesigen und verwinkelten Gebäude
eine Möbelfabrik. Nachdem das fünfstöckige Gebäude jahrelang leer gestanden hatte,
wurde es als Renditeobjekt verkauft. Der neue Eigentümer hatte in den ehemaligen
Werkhallen Trennwände eingezogen und dadurch eine Vielzahl an Wohnungen hergestellt.
Es gingen Gerüchte um, dass neue Mieter mehrere Wochen benötigten, um sich in dem
Wirrwarr an Gängen und Treppenhäusern halbwegs zurechtzufinden.
»In diesem Haus wohnt
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