Blutbahn - Palzkis sechster Fall
Sie vorhin
erzählten, gehört der auch zu dieser Klientel?«
»Ich mache mir langsam Sorgen um
ihn«, sagte Metzger. »In zwei Stunden endet sein Ausgang, dann muss er wieder im
Knast sein. Es ist sein erster Ausgang und ich habe für ihn gebürgt.«
»Sie haben was?«
»Gebürgt. Freddie sitzt seit fast
zwanzig Jahren in der Geschlossenen. Bei den Ärzten gilt er als unheilbar und nicht
therapierbar.«
»Und warum durfte er heute raus?«
Metzger warf sich in die Brust und
erklärte stolz: »Anscheinend gibt es jemanden, der sich meinen Argumenten nicht
verschließt. Ich habe dem Anstaltsdirektor gesagt, dass ich ihn am Nobelpreis teilhaben
lassen werde, wenn mein Freifeldversuch positiv ausfällt.«
»Das heißt, Sie holen Leute aus
dem Knast, die nicht therapierbar sind, und lassen diese frei und allein in der
Gegend herumlaufen?«
»Na ja, frei herumlaufen lasse ich
sie nicht sofort. Erst ab dem dritten oder vierten Mal. Aber Bahnfahren dürfen sie
gleich. Sie müssen sich vorstellen, Herr Palzki, meine Kunden haben teilweise seit
Jahrzehnten nur Gleichgesinnte und Ärzte zu sehen bekommen. Nun stecke ich sie in
eine gut gefüllte S-Bahn. Die müssen da durch, glauben Sie mir, das wird ihnen helfen.«
Ich schüttelte angewidert den Kopf.
»Und wenn sie rückfällig werden?«
»Wer wird denn gleich so schwarz
sehen? Selbstverständlich bekommen sie vor ihrer ersten Bahnfahrt einen kleinen
Medikamentencocktail. Sozusagen direkt in die Blutbahn.«
»Und welche Medikamente verabreichen
Sie?«
»Ach, alles Mögliche, was ich halt
grad da habe. Viel hilft viel, so ist es meistens.«
Mir lief ein Schauder den Rücken
hinunter. Das, was Metzger da erzählte, konnte kein Scherz unserer Kollegen sein,
so viel Fantasie traute ich ihnen niemals zu. Der Umkehrschluss war, dass die Ausführungen
des zukünftigen Nobelpreisträgers der Wahrheit entsprachen. Gerhard tat die letzten
Minuten eigentlich nur zwei Dinge: schreiben und den Kopf schütteln.
»Was denken Sie, wo Ihr Freddie
ist?«
»Was weiß ich!«, brauste Metzger
auf. »Hier ist ja alles voller Bullen. Mit den schlechten Erfahrungen, die er mit
denen gemacht hat, ist es für mich als Arzt nicht verwunderlich, wenn er das Weite
gesucht hat. Ich warte noch ein Weilchen, dann werde ich mir überlegen, was ich
mache. Weit kommt er nicht, Freddie hat kein Geld dabei.«
»Und wenn er sich welches besorgt?
Illegal, meine ich.«
»Aber Herr Palzki. Dann würde er
sofort wieder im Knast landen, das weiß er genau.«
Wo er auch landen wird, wenn er
rechtzeitig zurückkommt, dachte ich. Doch im Moment hatte ich keine Lust, mich um
dieses spezielle Problem zu kümmern. Ich hatte zwei teuflische Morde aufzuklären,
das war für mich vorrangig. Gerhard und ich verabschiedeten uns von dem Notarzt
und legten ihm nahe, seine Geschichte über den Fund des Teufelskostüms spätestens
morgen früh bei uns zu Protokoll zu geben. Metzger bedankte sich für das Entgegenkommen
und bot uns zum Abschied an, zwei oder drei Altersflecken völlig umsonst zu entfernen.
Als Einführungsangebot, wie er sich ausdrückte.
Zusammen mit meinem Kollegen lief
ich über die lange Bahnüberführung zurück zum Auto. In gerader Blickrichtung schauten
wir während unseres Fußmarsches direkt auf die rauchenden Schlote des Mannheimer
Großkraftwerkes.
»Schau dir mal diese immensen Rauchwolken
an«, staunte Gerhard.
»Alles nur Wasserdampf. Habe ich
mal in der Zeitung gelesen, also kein Grund zur Panik.«
»Du glaubst auch alles, was in der
Zeitung steht«, meinte er und damit war die Diskussion bereits zu Ende.
*
Zurück in der Schifferstadter Dienststelle trafen wir auf eine rastlose
Jutta. Mit einem Paket Akten unter dem Arm lief sie über den Flur.
»Da seid ihr ja schon«, begrüßte
sie uns schnaufend. »Ich habe leider keine Zeit für euch, ich bin im Stress. KPD
hat die Organisation des bundeslandübergreifenden Kommissionsmeetings großzügigerweise
mir überlassen. In knapp zwei Stunden wird es losgehen. Ich habe noch unglaublich
viel zu tun. Am besten ruht ihr euch ein wenig aus.«
Als sie an der nächsten Bürotür
angelangt war, schaute sie über ihre Schulter nochmals zu uns zurück. »KPD will
bis dahin nicht gestört werden. Er hat Besuch von der Weltpresse.«
»Becker?«, riet ich und Jutta nickte,
bevor sie im Büro verschwand.
»Verzeihung, würden Sie bitte mal
auf die Seite gehen?«
Erschrocken drehten wir uns um und
erblickten eine fünfköpfige
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