Blutbahn - Palzkis sechster Fall
Jägermeister.
Gerhard hatte in der letzten Minute
mit seinem Handy telefoniert und den Polizeischutz angefordert. Es war zwar eher
unwahrscheinlich, dass der Serientäter direkt in der Wohnung zuschlug, doch man
konnte nie wissen. Eins stand aber für mich bereits fest: Die in dem Brief geforderte
S-Bahnfahrt würde ich selbst unternehmen. Die Chance durfte ich mir nicht entgehen
lassen.
»Was ist eigentlich mit Ihren Augen?«
Dies wollte ich zum Abschluss noch erfahren.
»Sie meinen, weil ich die Sonnenbrille
trage? Ich leide unter einer seltenen Augenkrankheit, deswegen bin ich Frührentner.
Es sieht seltsam aus, ich weiß, aber Heino macht das auch so.«
Ob Heino auch Jägermeister trank?
Ich verkniff mir diese Frage, deren Antwort mich in meinem Leben wahrscheinlich
nicht weiterbringen würde. Stattdessen verabschiedeten wir uns. Im Treppenhaus hörten
wir durch die geschlossene Eingangstür, dass Teufelsreute seinen Fernseher wieder
eingeschaltet hatte.
Vor dem Haus fuhr uns um ein Haar
ein radelnder Mann in Begleitung seines Schäferhundes über den Haufen.
»Kennt ihr net uffbasse!«, schrie
er uns über die Schulter schauend an. Dann stutzte er und bremste. »Dich kenn ich
doch. Du bischt doch der Bolizischt, wu do uffm Feld hinner meim Haus die Sach mit
dem dode Pole gerechelt hot.«
Auch ich hatte Vollbart sofort wiedererkannt,
was nicht allzu schwierig war. Seine grünstechenden Pupillen waren in den grauen
und wirren Haaren das Einzige, was von seinem Gesicht durchschien. In Verbindung
mit seinem extrempfälzischen Dialekt hatte ich ihm während der Ermittlungsarbeiten
zu dem toten Erntehelfer im vergangenen Frühjahr den Spitznamen Waldkauz gegeben.
»Was war do driwwe am Samstach los?«
Seine Goldkronen blinkten durch den Vollbart, während er zum Bahnhof zeigte.
»Ich war grad in de Kneip akumme
un hab mer ä Bier bestellt, do hammen mich dei Kollesche rausgschickt. Uffm Parkplatz
hot mer ä Weil später so ehn komische Arzt gsagt, das ihr ähn Deifel sucht. Ich
hab do glei an mei Fraa gedenkt, awer die is jo schun lang dod.«
Ich schaute provozierend auf meine
Uhr, um unsere Eile zu demonstrieren. Doch Vollbart war über solche Dinge erhaben.
»Sach ämol, habt ihr den Deifel
denn noch kriegt? Ä paar Minude, bevor ich in die Kneip gange bin mit meim Zeus
–«, er zeigte auf seinen Hund, »hab ich do grad wu mer stehen den Deifel rumlaafe
sehe.«
Schon wieder gab es für mich einen
Grund, erstaunt zu sein. Ausgerechnet diese haarige Gestalt konnte ein wichtiger
Zeuge für uns sein. Jetzt galt es, ihn vorsichtig und ohne größere Neugier zu befragen.
Sonst würde er uns vielleicht noch mit einem Kasten Bier zu erpressen versuchen.
»Teufel gibt es überall«, sagte
ich beschwichtigend, »schließlich ist im Moment Fastnacht. Hat der Teufel, den Sie
gesehen haben, sich irgendwie verdächtig benommen?«
»A woher denn!
Der iss do rumgeloffe und hot so ähn Brief in de Hand ghabt. Dann is er do hinner
des Haus gange, vielleicht hot er mol brunse misse.«
Vollbart hatte
genau auf den Weg gezeigt, den ich gerade mit Gerhard von Pit Teufelsreute gekommen
war. Zweifelsohne musste es sich um einen abgebrühten Täter handeln, der seine Taten
minutiös plante. So hatte er offensichtlich den tödlichen Dreizackstoß von vornherein
im Schifferstadter Hauptbahnhof geplant, um Minuten später die tödliche Einladung
an sein übernächstes Opfer in den Briefkasten zu werfen.
»Da können
Sie recht haben, auch Teufel müssen mal auf’s Klo. Haben Sie ihn wieder zurückkommen
sehen?«
»Ich bin doch kähn Spanner«, antwortete
Vollbart entrüstet. »Außerdem hot mein Zeus ä mords Terror gemacht mit seim Gebell.
Der wollt dem Deifel hinnenoch renne. Ich hawwen grad noch so halte kenne. Dann
haw ich gemacht, dass ich in die Kneip kumm. Is des wichtich fer dich, ob de Deifel
do in de Garte gebrunst hot?«
Ich verneinte, während Gerhard sich
nur mühsam beherrschen konnte. Er streichelte tatsächlich den Hund des Waldkauzes,
was ich nicht für viel Geld gemacht hätte.
Während er umständlich auf sein
Rad stieg, meinte er zum Abschied: »Wenn noch was is, ich bin fascht jeden Tach
do driwwe in de Kneip. Du muscht ämol dort des Exportbier probiere, des schmeckt
wie des Paradies uff Erde.«
Wahrscheinlich hatte er noch nie
Pils probiert, dachte ich, während er in Richtung Unterführung fuhr.
9
Eine Bahnfahrt, die ist nicht immer lustig
Gerhard und ich fuhren zurück zur Dienststelle.
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