Blutbahn - Palzkis sechster Fall
sollen genauso fahren wie in echt, inklusive der Länge der Haltepausen.
Er wollte alle Züge mit Sendern bestücken, dabei sollte ich ihm helfen. Verrückt,
oder?«
»Die Pfalz ist voll mit Verrückten,
die frei herumlaufen«, antwortete ich ihm und dachte dabei an Metzgers pseudowissenschaftliche
Freifeldstudien.
»Haben Sie ihm dabei geholfen?«,
fragte ich nach.
»Um Gottes willen, Herr Palzki.
Damit würde ich mich strafbar machen. 100 Euro wollte er mir für das Montieren je
Sender bezahlen. 100 Euro für solch ein gefährliches Geschäft? Nein, danke, habe
ich zu ihm gesagt. Sobald solch ein Zug mal in die Werkstatt müsste, würde man den
Sender entdecken. Sascha meinte, dass man für soviel Geld verlangen könnte, dass
ein Sender entdeckungssicher versteckt wird. Doch darauf ließ ich mich nicht ein.
Nicht für 100 Euro.«
Wo wohl seine Schmerzgrenze lag?
Bei 200 oder eher bei 500 Euro? Ich musste einen Moment überlegen, bevor mir die
nächste Frage einfiel.
»Könnte es sein, dass Neumann weitere
Kollegen von Ihnen gefragt hat?«
Pfeiffer zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Wenn es so wäre, würde es mir wohl keiner verraten.«
»Klar, damit haben Sie recht. Ich
denke, wir haben für’s Erste genug Informationen. Ein paar Kollegen werden die Ordner
abholen. Wenn Ihnen oder Ihrer Frau noch etwas einfällt, rufen Sie bitte unverzüglich
an.«
Ich drückte ihm eine Visitenkarte
in die Hand.
Gerhard bedankte sich für den köstlichen
Kaffee, während uns das Paar zum Ausgang begleitete.
Ich nutzte den Columbo-Trick. »Ach,
ich habe noch eine etwas spezifische Frage.«
Gerhard zog überrascht seinen Notizblock
aus der Jacke und wartete.
»Warum haben Sie auf der Vorderseite
des Hauses sämtliche Rollläden halb heruntergelassen?«
Die Verwirrung über meine Frage
hätte nicht größer sein können, selbst mein Kollege wirkte überrascht.
Pfeiffer und seine Frau suchten
nach einer Antwort, brachten aber zunächst keinen vernünftigen Satz zustande.
»Äh, ja, das ist so«, Arno Pfeiffer
suchte immer noch nach Worten. Endlich hatte er eine Antwort gefunden. »Also, das
machen wir schon immer so. Dadurch verbleichen unsere Tapeten nicht so schnell.«
»Danke, Herr Pfeiffer, Sie haben
mir sehr geholfen.«
Wir ließen zwei verwirrte Menschen
zurück.
»Hat das sein müssen?«, fragte Gerhard,
als wir im Wagen saßen.
»Eigentlich nicht.« Ich grinste.
»Es war nur so etwas wie eine Bestätigung. Das musst du jetzt nicht verstehen. Kannst
du dich an die Werbefilme der Tapetenlobby erinnern? Muss so Anfang der Siebziger
Jahre gewesen sein.«
»Weißt du, wie alt ich damals war?«,
herrschte mich mein Kollege an.
»Ach so«, entschuldigte ich mich.
»Da gab’s einen einprägsamen Spruch, der ging in etwa so: ›Tapetenwechsel braucht
der Mensch, alle drei Jahre, mindestens‹.«
Gerhard schaute mich bedeppert an.
»Alle drei Jahre? Hat das jemand ernst genommen?«
»Ich glaube nicht. Da müsste man
alle drei Jahre seinen kompletten Jahresurlaub opfern, nur zum Tapezieren. Aber
damals gab es noch mehr so dummes Zeug. Manchmal war es auch gefährlich.«
»Gefährlich? Erzähl mal!«
»In Schifferstadt gab es ein Schuhgeschäft,
da wurden bis Anfang der Siebziger Jahre die Füße geröntgt, hauptsächlich die von
Kindern.«
»Ist nicht wahr, oder?«
»Doch, Gerhard, so war es. Ich kann
mich genau daran erinnern. Der Apparat hieß Pedoskop und war eine etwa ein Meter
hohe Säule. Da wurde unten in einer Öffnung der Fuß mit dem neuen Schuh reingestellt
und von oben konnten dann die Eltern, die Schuhverkäuferin und wir Kinder auf den
geröntgten Fuß schauen. Das ging dann minutenlang, während die Eltern mit der Verkäuferin
diskutierten, ob der Schuh die richtige Größe hat.«
»Irrsinn«, meinte Gerhard. »Heutzutage
würde man deswegen im Knast landen. Wie sehen deine Füße aus, Reiner?«
12
Teufel noch mal!
Ich war sehr froh, als in diesem Moment Gerhards Handy klingelte. Ohne
sich um die aktuelle Gesetzeslage zu kümmern, nahm er ab.
»Steinbeißer.«
Er hörte gespannt dem Anrufer zu,
er unterbrach ihn lediglich für einzelne Wörter wie ›ja‹, ›was?‹ und ›unglaublich!‹.
»Wir kommen sofort«, beendete er
das Telefonat.
»Wir müssen nach Schifferstadt«,
sagte er.
»Ich weiß, dort liegt unsere Dienststelle«,
antwortete ich.
»Pit Teufelsreute wurde überfallen.«
»Was? Wo? Wie?« Am liebsten hätte
ich meinen Kollegen mit 1000 Fragen gleichzeitig
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