Blutbeichte
geschenkt habe, hat sie gesagt: ›Wer liest denn so einen Schinken? Ich meinte den Film . Leonardo di Caprio ist ein so heißer Typ.‹«
Anna lachte. »Oh, là là.«
»Ich weiß.« Bobby Nicotero saß an seinem Schreibtisch im zwanzigsten Revier. Er arbeitete gerne dort und wollte die Mordkommission Manhattan Nord möglichst schnell wieder verlassen. Seine Schicht war schon seit drei Stunden zu Ende, aber er hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Stattdessen las er Kopien der Aussagen, machte sich Notizen, unterstrich einige Stellen mit einem Marker und überprüfte alles noch einmal, doch er konnte nichts Neues entdecken. Dann fiel ihm ein Textabschnitt ins Auge, den er mit einem blauen Marker hervorgehoben hatte. Bobby nickte. Er musste nur noch eine Sache überprüfen.
Anna lag auf dem Sofa. Sie sah fern und blätterte in einem großformatigen Wälzer mit Stoffmustern, als Joe nach Hause kam.
»Hallo«, sagte sie.
»Hallo.«
Joe zog seine Jacke aus, nahm die Krawatte ab und zog das Hemd aus.
»Shaun hat mit Tara Schluss gemacht«, sagte Anna.
»Tatsächlich?«
Anna nickte. »Ja.«
»Tja, ich bin auch nie mit den Mädchen zusammengeblieben, die meine Mutter nicht mochte.«
»Du mochtest Tara auch nicht besonders«, protestierte Anna.
»Ja, aber du hast sie spüren lassen, dass du sie nicht magst.«
»Bist du jetzt unter die Psychologen gegangen?«, sagte Anna. »Stell dir vor, wir bekommen noch einen Jungen und müssen das alles noch einmal durchmachen. Oder ein Mädchen, auf das wir ständig aufpassen müssen, damit es sich nicht so entwickelt wie Tara.«
Joe erwiderte nichts.
»Was ist los?«, fragte Anna.
»Nichts.«
»Du hast doch irgendwas. Wir haben die ganze Woche kaum ein Wort gewechselt.«
»Ich hab viel um die Ohren, Anna.«
»Ich auch.«
»Tut mir leid«, sagte Joe. »Ich habe ganz vergessen, wie stressig es ist, auf dem Sofa zu liegen und in Mustermappen zu blättern. Da komme ich mit meinen paar Leichen natürlich nicht mit.«
»Das ist nicht fair.«
»Das ganze Leben ist nicht fair. All der Schmutz, den ich zu sehen bekomme.« Er zeigte auf Annas Musterbuch. »Da ist es mir wirklich egal, ob gestreifte Tapeten ein Comeback erleben.«
Anna starrte ihn an. »Du hast immer das letzte Wort, du arroganter Schnösel.«
»Ich bin nicht arrogant«, widersprach Joe. »Ich bin nur realistisch und lebe nicht wie du in höheren Sphären.«
»In höheren Sphären?«
Ihre gereizte Stimme ließ seinen Zorn noch höher auflodern.
»Ja. Diese kleinen Scheinwelten, in denen alles perfekt ist, alle glücklich sind, die Sonne scheint und alle in schicken Designerklamotten und mit makellosen Körpern durch ihre chromblitzenden Küchen oder ihre plüschigen Schlafzimmer schweben, ein breites Grinsen auf den glatt gebügelten Gesichtern.«
Anna schüttelte den Kopf. »Sag mal, ist alles in Ordnung? Was ist los mit dir?«
»Willst du es wirklich wissen? Ich bin wütend! Ich habe versucht, cool zu bleiben, aber ich schaff’s nicht. In einem Jahr geht Shaun aufs College, und mir gefiel der Gedanke, dass wir beide dann unser Leben hier zu zweit gestalten, verstehst du? Und jetzt ist es so, als hätte jemand auf die Rückspultaste gedrückt, und wir beide sind wieder da, wo wir vor achtzehn Jahren gewesen sind. Ich komme mir vor, als hätten wir uns den Hintern für nichts aufgerissen. Außerdem könnte das Baby ein Vorwand für dich sein, dass du dich weiterhin hier einigelst, anstatt dich wieder dem Leben zu stellen.«
»Was soll das heißen?«
»Schau dir doch an, wie du lebst, Anna. Du gehst kaum vor die Tür, bist den ganzen Tag und jeden Abend hier.« Joe blickte sie an. »Ich liebe euch sehr, dich und Shaun. Ihr bedeutet mir alles. Aber wir sind nicht mehr dieselben. Vieles hat sich verändert.«
»Vielleicht bringt das Baby alles wieder ins Lot.«
Joe schüttelte betrübt den Kopf. »Das ist ein verdammt harter Job für ein Baby.«
23
Die Sonne schien durch eine Lücke im grauen Himmel über Denison, Texas. Wanda Rawlins streckte ihre steife Hand mit gespreizten Fingern zum Fernseher aus.
»Ich bin clean seit …?«
Der Fernsehprediger, der sein graues Haar mit Pomade geglättet hatte, wartete, bis das Publikum und die Zuschauer ihren Part gesprochen hatten: »Seit sechzehn Jahren, drei Tagen und sieben Stunden«, sagte Wanda.
»Und bevor ich mit Jesus wandelte, habe ich …?«, rief der Prediger.
»Mit dem Teufel getanzt.« Wandas Stimme war so leidenschaftlich wie die des
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