Blutberg - Kriminalroman
anderen, beide waren gleich kalt. Er hielt sich dicht an der Wand des Flughafengebäudes und rauchte. Ich hätte vielleicht im Hagkaup vorbeifahren und mir ein Paar bessere Schuhe kaufen sollen, überlegte er, als ihm plötzlich die Nachrichten von schlecht beschuhten Arbeitern auf der Kárahnjúkar-Baustelle einfielen. Vielleicht auch Wollsocken. Árni drückte die Zigarette aus und zündete sich gleich die nächste an. Ein junger Mann in sorgfältig zerschlissenen Jeans, einem schwarzen T-Shirt mit Totenkopf und einem grünen Parka mit der DDR-Fahne auf dem Ärmel kam aus dem Flughafengebäude und bat ihn um Feuer. Eine beeindruckende Stahlspitze ragte zwischen der dünnen Unterlippe und dem spärlichen Bärtchen fast waagerecht aus seinem Kinn heraus. Der Irokesenkamm auf seinem Kopf war rosa und blau gefärbt. Die stabilen Trekkingschuhe schienen ziemlich neu zu sein und weckten Neidgefühle bei Árni, als er
sich vorbeugte, um die Hand vor die Flamme zu halten. Sogar dieser Typ hat bessere Schuhe als ich, dachte er ärgerlich, immer derselbe verdammte Leichtsinn … Kettchen und unzählige Ohrringe klingelten, als der Mann sich nach der Flamme bückte.
»Danke«, sagte er.
»Keine Ursache«, sagte Árni. Der Mann - der bei näherem Hinsehen kaum mehr als ein Junge war - lehnte sich gegen die Wand und inhalierte den ersten Zug tief und genüsslich. Als er den Rauch wieder ausblies, blickte er mit verträumten blauen Augen in die Ferne. Grüne Armee, dachte Árni. Ich könnte ihn, so wie er da steht, hier auf der Stelle festnehmen, Fall gelöst.
Árni drückte seine halb gerauchte Zigarette aus, nickte dem Punker zu und beeilte sich, wieder nach drinnen in die Wärme zu kommen. Die Nachmittagsmaschinen waren weg, und es blieb noch eine gute Stunde bis zu den Abendflügen, deswegen war die Halle so gut wie menschenleer. Ein altes Ehepaar saß auf einer Bank am Fenster, ein junges Paar mit einem Baby und einem etwas älteren Kind auf der Bank ihnen gegenüber, und außerdem zwei Männer, die sich an einem Tisch in der Nähe der Cafeteria anschwiegen. Sämtliche Leute schienen besseres Schuhwerk an den Füßen zu haben als er, dachte Árni, doch dann schüttelte er den Gedanken von sich ab. Das wird schon irgendwie gehen, überlegte er, ich werde ja wohl kaum viel draußen sein müssen … Die gemütliche Wärme drinnen wurde durch die dicken, nassen Flocken draußen noch unterstrichen, doch dadurch verstärkte sich bei Árni dieses irrationale Gefühl, das ihn ergriffen hatte, als Stefán sie über die wichtigsten Punkte in dem Fall informiert und ihnen die Drohbriefe gezeigt hatte. Nicht einen Augenblick glaubte er daran, dass irgendeine terroristische Organisation, die sich Grüne Armee nannte, in der Einsamkeit des
isländischen Hochlands bei tobendem Schneesturm sechs Menschen umgebracht hatte. So etwas war völlig undenkbar, und Katríns und Guðnis Reaktionen nach zu urteilen, stand er nicht allein mit seiner Meinung.
»Ich dachte, du wolltest damit aufhören, Junge«, sagte Stefán, als Árni sich in einer Ecke der Cafeteria zwischen ihn und Guðni setzte. »Mit dem Rauchen, meine ich.«
Árni nickte. »Das habe ich auch gedacht.« Er trank einen Schluck Kaffee und schüttelte sich, ihm war entsetzlich kalt geworden.
»Ganz deiner Meinung«, erklärte Stefán, »der Kaffee schmeckt extrem scheußlich.«
»Wieso trinkt ihr ihn dann?«, fragte Guðni und hielt ihnen seine Bierflasche unter die Nase. »Skál.« Er leerte die Flasche, stellte sie geräuschvoll auf den Tisch und stöhnte vor Behagen. »Danach habe ich mich den ganzen Tag gesehnt«, erklärte er rülpsend. »Nach so einem Abend wie gestern …« Er zwinkerte ihnen vielsagend zu und rülpste noch einmal. »Oder eigentlich eher nach so einer Nacht. Ihr hättet mit mir kommen sollen, ihr habt echt was verpasst, sage ich euch.« Stefán und Árni warfen sich Blicke zu und nickten. Stefán zog sein Portemonnaie heraus und reichte Árni einen Tausendkronenschein.
»Ein Thule«, sagte er.
»Bring mir auch noch eins mit«, sagte Guðni. »Das Geld bekommst du nachher. Oder morgen.« Er stand auf. »Ich muss erst mal das andere loswerden.«
Árni sah Katrín an. Sie schüttelte den roten Schopf. »Nein, danke«, sagte sie. »Ich bleibe bei Wasser.«
Árni ging zur Bar und kehrte kurze Zeit später mit drei Flaschen zurück.
»Die Party bei dir war prima«, sagte Katrín, als er sich wieder gesetzt hatte. »Die Wohnung ist toll.«
»Danke«,
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