Blutberg - Kriminalroman
kommt? Herrgott noch mal, das ist ja hier oben schlimmer als in einem Nähkränzchen, alle wissen alles.«
Einige murmelten zustimmend, doch Róbert schüttelte den Kopf. »Nein, hier wissen keineswegs alle alles.« Er war wütend, und das war ihm deutlich anzuhören. »Ganz im Gegenteil, niemand weiß nichts, und nicht einmal ich, der ich angeblich Vertrauensmann bin. Und das ist genau der springende Punkt. Die Leute hören irgendwelches Gemunkel, greifen es auf und geben es weiter. Wisst ihr, wovor die Leute jetzt die meiste Angst haben?« Róbert sah einen nach dem anderen fragend an. Er war in Fahrt. »Vor der nächsten Explosion«, sagte er. »Die Leute fragen sich - und mich -, ob jemand ihnen zusichern kann, dass der Attentäter aufgehört hat zu sprengen. Genau diese Frage wurde mir heute gestellt. Wann werdet ihr es endlich raffen, dass die Leute, solange sie nichts wissen, ihrer Phantasie freien Lauf lassen?«
Niemand antwortete, nicht einmal Matthías, der bislang das Wort für die anderen geführt hatte. Róbert brachte eine wirkungsvoll resignierende Geste ein. »Du hast doch über gesunden Menschenverstand geredet, Matthías, come on .« Er stützte seine Ellbogen auf und starrte auf einen unsichtbaren Punkt auf der Tischplatte. »Also, nach diesem Gespräch könnte ich den Raum verlassen und verlangen, dass die Arbeiten eingestellt wurden, zumindest, bis wir genau wissen, ob es ein Unfall war oder nicht. Wenn ihr das wollt, okay. Wenn nicht, glaube ich, dass ihr mir alles sagen solltet, was ihr wisst. Ich werde es dann an die richtigen Stellen weiterleiten, streng
vertraulich selbstverständlich, und dann sehen wir zu, wie es weitergeht. In Ordnung?«
Matthías spähte noch einmal in die Runde, aber dieses Mal fand er nirgends Unterstützung. Die anderen starrten entweder in die Luft oder auf ihre Hände. Das war seine Entscheidung, das wussten sie alle, und niemand wollte maßgeblichen Anteil daran nehmen. Sogar Lárus, der einzige noch lebende Sicherheitsbeauftragte der National Power Company auf dem Gelände, schwieg vor sich hin. Das hatte er im Übrigen auch schon die ganze Zeit getan. Lárus war ein pragmatischer junger Mann, der Karriere machen wollte.
»In Ordnung«, sagte Matthías schließlich. »In Ordnung. Wir wissen Folgendes …« Er zählte die Hauptpunkte in Ásmundurs Abschiedsbrief auf und wiederholte das, was ihm der Polizist aus Egilsstaðir über Joaquims Aussage berichtet hatte.
Die Grüne Armee und deren Drohungen erwähnte er aber nicht. Was auch immer wer gesagt haben möchte - einiges blieb besser unausgesprochen.
»Ich möchte, dass eines vollkommen klar ist«, sagte der Amtmann aus Seyðisfjörður. Er war ein Mann um die sechzig mit stahlgrauen Augen unter weißen Brauen, der trotz seines vernarbten Gesichts gut aussah. »Dieser Fall untersteht uns. Ihr seid hier, um uns zu assistieren, nicht umgekehrt.« Sie saßen in einer Sitzgruppe am Nordfenster der Hotelbar, die sie im Augenblick ganz für sich allein hatten.
»Ist vollkommen klar, da kannst du völlig unbesorgt sein«, antwortete Stefán. »Wir sind nicht gekommen, um auf irgendwelchen Zehen herumzutrampeln.« Er gab Zucker in seinen Kaffee und rührte gut um. »Aber was ist mit der Koordinierungsabteilung? Der junge Spund vom IKA und sein Kollege, die mit uns hergeflogen sind?«
Der Amtmann räusperte sich. »Das gilt genauso für sie. Es sei denn, dass sich Dinge herausstellen, die ihnen Anlass dazu geben, den Fall zu übernehmen, aber das ist deren Entscheidung.«
»Ich kenne den einen, den jüngeren«, sagte Stefán möglichst unbefangen, »aber nicht den anderen. Weißt du, wer das ist?«
»Keine Ahnung. Ich weiß bloß, dass sie im Hotel Valaskjálf übernachten und nach Kárahnjúkar fahren wollen, sobald es möglich ist. Wie ihr vermutlich auch, denke ich. Ihr arbeitet wohl zusammen daran, nicht wahr?«
Stefán nickte. »Doch, doch, natürlich tun wir das. Wir treffen sie selbstverständlich morgen. Und die Leute von der Spurensicherung ebenfalls, hoffe ich. Soweit ich weiß, sind sie auch auf dem Weg hierher, aber sie waren nicht in der Abendmaschine.«
»Nein«, sagte der Amtmann. »Sie sind schon nachmittags gekommen. Irgendein schräger Vogel mit langen Haaren und Nickelbrille, noch dazu im Hawaiihemd mitten im Winter. Und außerdem ein kleines, fettes Frauenzimmer mit Stoppelfrisur und noch zwei andere, die wirkten aber eher normal. Sie sind vermutlich bereits in Kárahnjúkar, sie haben
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