Blutberg - Kriminalroman
und als ginge euch das einen Scheißdreck an. Das steht aber auf einem anderen Blatt. Ich möchte nur sagen, dass wir - oder unsere Leute, und vor allem die Ausländer von diesen Leih-Agenturen - trotzdem viel mehr bekommen, als diese Arschlöcher ihnen eigentlich zugestehen wollten. Das steht jedenfalls hundertprozentig fest, was auch immer wer sagt. Also in diesem Sinne könnte es vielleicht so ausgelegt werden, als würde Ricardo gegen sie arbeiten. Das Projekt läuft zu langsam. Es wird womöglich zu teuer und der Profit zu gering, viel geringer, als sie sich ausgerechnet hatten. Vielleicht finden die da in Italien, dass er zu nachgiebig ist. Möglicherweise hat di Tommasso dieser Ansicht Vorschub geleistet, um Ricardos Position zu untergraben, und vielleicht hat Ricardo davon gewusst.«
»Und möglicherweise war der Obmann es leid, auf Verbesserungen zu warten«, entgegnete Matthías höhnisch, »und vielleicht hat dieser genervte Obmann beschlossen, etwas zu unternehmen. Ist das vielleicht auch eine von diesen wilden Theorien, die im Umlauf sind? Du und di Tommasso, ihr wart alles andere als Busenfreunde, nach dem, was mir zu Ohren gekommen ist.«
Róbert hob resignierend die Hände. »Du wolltest wissen, was für Geschichten hier kursieren, und du hast gefragt, wer ein Interesse am Tod dieser Leute haben könnte. Ich hab dir bloß sagen wollen, dass hier zweierlei Geschichten über Ricardo kursieren, und wenn man sie ernst nimmt und miteinander in Verbindung setzt, dann hätte er allen Grund dazu,
mindestens drei von den sechs, die ums Leben kamen, umzubringen. Okay? Es bringt nichts, den Boten für die schlechte Nachricht zu bestrafen.«
Zwei Minuten vergingen in Totenstille. Beide vermieden es, einander anzusehen, doch schließlich gab sich Matthías einen Ruck.
»Na schön«, sagte er müde. »Das sind die Geschichten, wie du sagst. Aber ich würde nicht eine einzige Sekunde an den Gedanken verschwenden, dass Ricardo hinter dem Ganzen steckt, und ich weiß, du auch nicht. Auf jeden Fall nicht ernsthaft.« Er schluckte ein paar Mal, bevor er fortfuhr. »Aber selbst wenn, was dann? Dann hat er doch wahrscheinlich alle beseitigt, die er beseitigen wollte, und wird wohl kaum noch andere umbringen müssen, oder? Und falls jemand anderes dahintersteckt, beispielsweise der erste Serienkiller seit Axlar-Björns berüchtigten Zeiten im sechzehnten Jahrhundert, so grotesk das auch klingen mag, wer könnte dann schon wissen, ob er nicht auch die Kantine oder die Aufenthaltsräume mit zwei- oder dreihundert Müßiggängern in die Luft sprengt, wie Ricardo gesagt hat?«
Matthías hielt es für ein gutes Zeichen, dass Róbert nicht darauf reagierte. »Wir sollten jetzt erst einmal die Polizei zum Zuge kommen lassen«, fuhr er fort. »Nun ist es an ihnen, den Fall zu untersuchen und den Schuldigen zu finden, so es denn einen gibt. Gib ruhig diese Klatschgeschichten über Ricardo an sie weiter, wenn du es für richtig hältst. Und all die anderen Geschichten auch, unbedingt, egal welche. Aber halte auch Rücksprache mit deinen Leuten, sowohl in Reykjavík als auch hier, und versuch, ihnen klarzumachen, dass die Arbeit weitergehen muss. Mach deinen Job, beruhige die Leute. Wenn du unbedingt willst, sag ihnen das, was wir wissen, aber sag ihnen auch, dass die Sache in guten Händen ist. Dass die ersten Leute von der Kriminalpolizei eingetroffen und weitere
unterwegs sind. Niemand profitiert davon, wenn hier Hysterie aufkommt, die Situation ist sowieso schon schlimm genug. Okay? Ich meine, wenn es unglaublicherweise tatsächlich kein Unfall gewesen sein sollte, was hätten wir davon, die Arbeit einzustellen?«
»Aber …«, setzte Róbert an.
»Kein Aber«, sagte Matthías. »Denk doch einfach mal in Ruhe darüber nach und gib mir dann Bescheid. Ich muss mit dem Chef und noch ein paar anderen Leuten in Reykjavík sprechen, die Leichen müssen nach Reykjavík überführt werden, und wir müssen uns Gedanken über eine Gedenkstunde für die Opfer machen, sowohl hier als auch in Reykjavík.« Matthías sammelte seine Papiere zusammen und stand auf. »Es sei denn, du hättest auch dagegen etwas einzuwenden?«
Róbert fühlte wieder die Wut in sich hochsteigen. »Das ist unfair, Matthías. Das ist echt unfair, und das weißt du.«
Matthías nickte erschöpft. »Ja, ich weiß«, gab er zu. »Entschuldige. Ich bin einfach müde, verdammt müde. Aber du versprichst mir vielleicht, das alles noch einmal sehr genau zu
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